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Kultur
28.07.2021

Riesiges Graffiti in der Offenen Kirche

Künstler Stefan Tschirren malt «Die Erschaffung Adams» in der Offenen Kirche
Künstler Stefan Tschirren malt «Die Erschaffung Adams» in der Offenen Kirche Bild: Andreas Schwendener
Obwohl die Offene Kirche an der Böcklinstrasse 2 in wenigen Jahren abgerissen wird, entsteht derzeit in den Innenräumen ein riesiges Graffiti von Michelangelo durch den Künstler Stefan Tschirren.

Das Gesicht der brasilianischen Frau an der Fassade des Gebäudes an der Böcklinstrasse 2 ist kaum zu verfehlen und zieht die Blicke der Passanten fast schon magisch an. Seit 2016 ziert es die Vorderseite der Kirche und sorgte neben vielen positiven Reaktionen auch für kritische Stimmen. So fand die kantonale Denkmalpflege, dass das Graffiti «keinerlei Respekt gegenüber dem historischen Gebäude» zeige und forderten dessen Entfernung.

Trotzdem konnte die Bewilligung bis 2021 verlängert werden. Die Chancen, dass das Gemälde länger bleibt, stehen aber gut, wie Theodor Pindl, Intendant und Projekt- und Kulturmanager der Offenen Kirche, sagt. Denn: Die Offene Kirche muss wegen des Baus des neuen HSG-Campus Platz machen, und so sollen spätestens 2025 die Bagger auffahren. Bis dahin soll auch das Gemälde stehen bleiben.

Das bekannteste Graffiti der Stadt St.Gallen ziert das Gebäude der Offenen Kirche. Bild: Miryam Koc

Der Himmel wird geöffnet

Für die Offene Kirche ist der Abriss aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken und Däumchen drehend abzuwarten, bis es so weit ist. Im Gegenteil: Sie lassen gleich noch ein Graffiti in den Innenräumen der Kirche anfertigen. Eine Schnapsidee? «Nein, wir möchten die Zeit, die wir hier noch haben, möglichst gut nutzen. Die Idee fürs Graffiti kam im Rahmen der Kunstinstallation von Johann Kralewski, die hier im August und September stattfinden wird. Wir lassen die Pilger gleichsam durch ein Fenster in den Himmel blicken», sagt Pindl.

Künstler Stefan Tschirren und Intendant Theodor Pindl. Bild: Miryam Koc

Künstler leidet an Höhenangst

Dies soll symbolisch mit einem Graffiti nach der Vorlage von Michelangelos «Erschaffung Adams» passieren. Gesprayt wird das Kunstwerk von Stefan Tschirren, aus dessen Federn auch das berühmte Gesicht an der Fassade der Offenen Kirche stammt. «Obwohl ich kein gläubiger Mensch bin, war ich von der Idee begeistert, und mir gefiel das Motiv von Michelangelo», so der Künstler, der in der Kunstzene auch als «Insect» bekannt ist. Um die 100 bis 200 Spraydosen benötigt der Abtwiler für das Gemälde, das bereits am Freitag fertiggestellt werden soll.

Zwar habe er künstlerische Freiheit bei der Umsetzung, trotzdem möchte sich Tschirren so gut es geht an das Original halten. Herausfordernd sei besonders die Höhe – denn der Künstler leidet an Höhenangst. «Ab und zu wird mir etwas mulmig, aber irgendwie mag ich auch den Kick – wie bei Achterbahnfahrten. Bei so grossen Bildern ist es ausserdem schwierig, das ganze Bild von weitem betrachten zu können. Deshalb hoffe ich, dass es so gelingt, wie ich mir das vorstelle.» Dass von seinem Werk in wenigen Jahren nur noch Trümmer übrig sein werden, findet Tschirren zwar schade, aber als Sprayer sei er es sich gewohnt, dass seine Kunst nicht ewig bestehen bleibt. «Hauptsache ich hab ein gutes Foto davon!» 

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Graffiti und Kirchen – passt das?

Theologisch stehe das Bild für eine Sensibilisierung des Menschen für das Himmlische. «Das Bild soll den Betrachtern vermitteln, dass man sich nicht nur von Ängsten herunterziehen lässt, sondern auch Hoffnung schöpfen kann in einem anderen Horizont. Es tut uns Menschen gut, wenn wir manchmal die Perspektive wechseln», sagt Projekt- und Kulturmanager Theodor Pindl.

Während man in den meisten Kirchen Wandmalereien in den verschiedensten Stilen der Epochen mit aufwendigen und kleinsten Detaillierungen findet, setzt die Offene Kirche auf Graffiti. «Das ist schon ungewöhnlich, aber Graffiti hat etwas sehr Bodenständiges, etwas was alle Menschen verstehen. In unseren Statuten heisst es, dass wir überraschende und experimentelle Projekte angehen wollen. Das Bild an der Fassade hat uns auch gezeigt, wie gut die Menschen darauf reagieren», sagt der Intendant.

Was mit der Offenen Kirche nach dem Abriss passiert, steht derzeit noch in den Sternen. «Wir schauen mit gemischten Gefühlen in die Zukunft, da noch nicht klar ist, ob und wo die Offene Kirche einen Platz in St.Gallen findet.»

Gefeiert wird im Rahmen der Vernissage zur Kunstinstallation «Die Pilger» am Samstag, 28. August 2021.
Mehr zur Ausstellung der Pilger finden Sie hier.

Miryam Koc/stgallen24/Toggenburg24