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25.04.2021

Wie 285 Dukaten die höchsten Gerichte beschäftigten

Konstanz 1493: Holzschnitt von Hartmann Schedel.
Konstanz 1493: Holzschnitt von Hartmann Schedel. Bild: PD
Wenn heute wegen jeder Lappalie das Bundesgericht bemüht wird, war das früher nicht viel besser: Konstanzer Kaufleute kämpften bis in die höchsten Instanzen um eine St.Galler Schuld.

«Hans Ulrich und Bartholme Rueger, sendt verdorbenn duc[aten] 285.23» Diese Zeile aus dem Abrechnungsbuch der Konstanzer Handelsgesellschaft Felix und Jakob Grimmel setzt den Schlussstrich unter einen Schuldprozess, der die Gemüter der St.Galler und Konstanzer Kaufleute jahrelang erhitzt hatte.

Zwischenstädtischer Konflikt provoziert

Die Grimmel, in jener Zeit die bedeutendsten Kaufleute in Konstanz und im angrenzenden Allgäu, blieben auf ihren Schulden von 285 Dukaten sitzen, welche das Resultat des Konkurses der St. Galler Kaufleute Hans Ulrich und Bartholme Rueger war. Und dies, obwohl sie sich auf alle erdenklichen Arten um die Geldeintreibung bemüht hatten. Sie waren auch nicht davor zurückgeschreckt, die höchsten Instanzen der Eidgenossenschaft und des römischen Reichs deutscher Nationen in den Eskalationsstrudel hinein zu reissen.

Eine vergleichsweise geringe Summe hatte nicht nur die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Konstanz und St. Gallen getrübt, sondern einen zwischenstädtischen Konflikt provoziert. Wie konnte es soweit kommen?

St.Galler Dukat aus der Münzstätte des Klosters von 1781 Bild: PD

Juristisches Tauziehen durch alle Instanzen

Drehen wir das Rad acht Jahre zurück. Ende Oktober 1552 war das im Leinwandhandel und in Finanzgeschäften tätige Handelshaus der Gebrüder Rueger zahlungsunfähig geworden. Und dies, obschon sie bislang zu den reichen St. Galler Bürgern gehört und als Gesellschafter zum Notenstein, einer exklusiven Kaufmannsvereinigung, bestens vernetzt waren. Da ein grosser Teil der Gläubiger ebenfalls Notensteiner waren, bemühte man sich um Schadensbegrenzung. Unter Aufsicht des Bürgermeisters und Rats zu St. Gallen wurden alle Mobilien und Immobilien sowie Barbestände elf Notensteinern übertragen. Durch diesen Transfer sollte die Schuld getilgt und gleichzeitig den Ruegern die öffentliche Demütigung als Konkursiten erspart werden.

Gerüchteweise erfuhr man auch in Konstanz von der prekären Finanzlage der Rueger und von der mutmasslichen Vermögensübertragung. Dadurch aufgeschreckt, intervenierten die Gebrüder Grimmel via hiesigen Rat, denn schliesslich gehörten sie ebenfalls zum Kreis der Gläubiger. Ein Rechtstag in Konstanz sollte den Sachverhalt klären. Als Sicherungspfand beschlagnahmten Vertreter der Grimmel vorsorglich Vermögenswerte der Rueger in Konstanz, aber auch in Norditalien. Ein solcher Haftungszugriff auf Personen oder auf Wertgegenstände von Bürgern einer anderen Stadt war zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches, liess so aber den Konflikt erst richtig eskalieren. Ein juristisches Tauziehen durch alle Instanz war die Folge. Dabei stellte sich die St. Galler Regierung bedingungslos hinter die Ansprüche seiner Bürger und verteidigte ihr Eigentum auf Biegen und Brechen.

Beiden gemein war die Gesichtswahrung

Sowohl vor dem Konstanzer Stadtgericht als auch vor dem dortigen Rat als Berufungsinstanz erhielten die St. Galler Recht. Die Notensteiner seien mit der Vermögensübertragung rechtmässige Eigentümer geworden. Die später erfolgte Beschlagnahmung durch die Grimmel sei illegal und müsse umgehend rückgängig gemacht werden. Diese machten keine Anstalten, klein beizugeben. Deshalb wurde auch noch das letzte Rechtsmittel, welches im Reich zur Verfügung stand, ausgeschöpft. Es wurde ans Reichskammergericht appelliert. Gegenseitige Vorwürfe beider Parteien füllen die dortigen Protokolle. Die Grimmel sprachen von Heimlichtuerei der St. Galler, diese wiederum von Erpressung. Beiden gemein war, dass sie ihr Gesicht wahren wollten. Um die Verluste des Konkurses ging es nur noch am Rande.

Vergleichsentwurf des Abts Georg von Kreuzlingen an Bürgermeister und Rat zu St.Gallen vom 19.08.1555 Bild: Stadtarchiv SG

Seit 1548 stand Konstanz unter Zwangsverwaltung

Nun zogen auch die St. Galler die Schraube an. Sie brachten die eidgenössische Tagsatzung und damit die Politik ins Spiel. Auf höchster Ebene sollten nun ihre Ansprüche durchgesetzt werden. Parallel beschlagnahmten die St. Galler im Mai 1555 Leinwand im Wert von 1300 Gulden, welche auf der Konstanzer Bleiche lag und den Grimmel gehörte, und drohten damit, diese zu versteigern. Soweit kam es aber nicht mehr, da auf Betreiben des Abts von Kreuzlingen wenige Monate später ein Vergleich zu stande kam. Die Appellation vor dem Reichskammergericht wurde zurückgezogen, die beschlagnahmten Vermögenswerte der Rueger und die Leinwand der Grimmel wurden zurückgegeben. Die Grimmel mussten die Schulden abschreiben – «sendt verdorben» – und sämtliche Prozesskosten tragen.

Damit könnte die Geschichte zu Ende sein, wäre da nicht die irritierende Machtlosigkeit der Gebrüder Grimmel. Warum hat sich Konstanz nicht genauso für seine Bürger zur Wehr gesetzt, wie das St. Gallen getan hat? Zur Erinnerung: Zweimal verloren die Gebrüder Grimmel vor den städtischen Gerichten, und auch der St. Galler Handstreich auf die Leinwand blieb folgenlos. Die Ursache findet man in den politischen Rahmenbedingungen. Seit 1548 stand Konstanz unter Habsburger Zwangsverwaltung. In dieser schwierigen Situation konnte der Stadt nicht daran gelegen sein, sich mit seinen Nachbarn und wichtigen Handelspartnern zu überwerfen.

Hinzu kam, dass die Gebrüder Grimmel zwar wirtschaftlich wichtig waren, politisch aber eine untergeordnete Rolle spielten. Deshalb konnte sich Justiz und Obrigkeit von Konstanz ohne weiteres erlauben, zu Gunsten der St. Galler Ansprüche zu entscheiden. Letztlich dokumentiert dieser Schuldprozess exemplarisch, in welchem juristischen, politischen und wirtschaftlichen Kräftefeld sich Kaufleute bewegten, welchen Berufsrisiken sie ausgesetzt waren.

Wieviel war ein Dukat wert?

Der Dukat war eine Goldmünze, die in ganz Europa vom 13. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet war. Er besitzt einen Feingehalt von 986/1000 und wiegt ungefähr 3,5 g. Er hat damit einen Wert von gut 90 Franken; 285 Dukaten entsprechen so knapp 26'000 Franken.

Arman Weidenmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde St.Gallen