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15.04.2021

Erneute Kündigungswelle bei der Spitex

Signet der Spitex (Symbolbild).
Signet der Spitex (Symbolbild). Bild: Archiv
Erst im März wurde bekannt, dass es in der neuen Spitex St.Gallen kriselt. Nun sollen mindestens zehn weitere Mitarbeiter gekündigt haben. Die Rufe nach Untersuchungen werden lauter.

Es brodelt noch immer in der Spitex St.Gallen AG: Letztes Jahr haben sich die vier Spitex-Vereine in St.Gallen zu einem fusioniert. Eine gemeinsame Softwarelösung solle Arbeitsabläufe effizienter gestalten, die Aus- und Weiterbildung werde mit der «Einheitsspitex» gestärkt sowie Prozesse optimiert und professionalisiert. 

Mit der Reorganisation ist auch eine neue Pflegephilosophie entstanden. Diplomierte Pflegepersonen übernehmen damit nicht mehr die Grundversorgung eines Klienten wie Duschen und Anziehen, sondern beraten die Patienten bei Aufgaben wie Medikamentenausgabe oder Wundversorgung. Das Waschen und Anziehen wird neu von Pflegeasisstentinnen übernommen.

Die neue Spitex St.Gallen

Am 14. August 2020 wurde die Spitex St.Gallen AG gegründet. Das Aktionariat besteht aus der Stadt St.Gallen als Mehrheitsaktionärin mit einem Anteil von 80 Prozent und dem Verein Spitex Centrum – Stadt Spitex, der die restlichen 20 Prozent hält. 

Der Stadtrat bekennt sich mit der Besetzung des künftigen Verwaltungsrates zu modernen Grundsätzen der Corporate Public Governance und damit zu einer weitgehenden Trennung zwischen der politischen und der Unternehmensebene. Folglich wurden die Verwaltungsratsmandate öffentlich ausgeschrieben und nach fachlicher Qualifikation und Pflichtenheft besetzt.

34 Kündigungen bis im April

Mitarbeiter werfen der Spitex vor, dass mit der neuen Philosophie nur dem Geld hinterhergejagt werde und nicht mehr die Klienten im Fokus stünden. Deshalb kehrten 22 Angestellte der Spitex den Rücken. Doch damit nicht genug: Innert eines Monats seien zwölf weitere Kündigungen ausgesprochen worden, wie S.T.*, Ehemann  einer langjährigen Mitarbeiterin, gegenüber stgallen24 erzählt. Besonders der Standort St.Gallen-Ost sei von den Abgängen betroffen.

Grund dafür könnte der Abgang der ehemaligen Geschäftleiterin sein, der bei vielen Mitarbeitern Fragen aufwirft. So heisst es in einem Brief im Januar von der ehemaligen Spitex St.Gallen-Ost an die neue Geshäftsleitung: «Durch ihr unerwartetes und suspektes Ausscheiden aus der Spitex St.Gallen AG ergab sich Regelungsbedarf bei der Organisation unserer Arbeit. So wurden alle Arbeitsgruppen, die aus dem Work-Shop 2019 für die zukünftige Entwicklung der Spitex St.Gallen AG Vorschläge ausarbeiten sollten, ohne Rückmeldung gestoppt. Zudem sind wir darüber enttäuscht, dass wir nun in der Führung der neuen Organisation keinen Einsitz mehr haben.» Dadurch gehe viel Wissen verloren.

Der konstituierte Verwaltungsrat der neugegründeten Spitex St.Gallen AG mit Stadträtin Sonja Lüthi (Mitte): Claudia Gonzalez, Cécile Schefer, Matthias Frei (Vizepräsident) und Daniel Mächler (Verwaltungsratspräsident Spitex St.Gallen AG), (v.l.n.r) Bild: zVg

Zweifel an professionellem Versorgungsauftrag

«Man möchte die Spitex mit Zahlen und auf dem Papier reorganisieren, aber ohne jeglichen Dialog mit den Pflegefachpersonen. Das hat nichts mit Kulturwandel zu tun, sondern mit kommunikativen Fehltritten, keinem Plan von Change Management und mit der Einstellung von neuem, unterschiedlich qualifiziertem Pflegepersonal ohne definierte Pflegequalität. Es ist, als wolle man das Pferd am Schwanz aufzäumen», so S.T., der zum Schutz seiner Frau anonym bleiben möchte.

Lange habe diese bei der Spitex gearbeitet und den Beruf immer mit ganzem Herzen ausgeübt – doch unter den jetzigen Umständen sei dies nicht mehr möglich. In den vielen Jahren der Zusammenarbeit hätten die Mitarbeiter eine vertrauensvolle Kultur erarbeitete. Diese sei geprägt gewesen von gegenseitiger Wertschätzung, Ehrlichkeit und transparenter Kommunikation und Information. Nun fehle aber die Basis für eine weitere Zusammenarbeit.

Verschiedene, nicht nachvollziehbare Entscheide – wie Wechsel der Pensionskasse, überhastete Einführung der Software Lifestage-Solution ohne genaue Instruktion oder die reine Ausrichtung auf betriebswirtschaftliche Führung – würden dies unterstreichen.

Ruf nach Untersuchungen wird laut

«Dass man bei der Spitex einen neuen Kurs fahren möchte, ist ja nicht verwerflich. Aber das 34 Mitarbeiter in kürzester Zeit das Handtuch schmeissen, sollte schon Fragen aufwerfen. Stadträtin Sonja Lüthi und Geschäftsleiter Michael Zellweger haben einfach einen Hacken dahinter gemacht und so argumentiert, dass sich die Kündigungen im Rahmen bei einer Reorganisation bewegten. Ich finde das stossend, denn schliesslich geht es um die Versorgungssicherheit einer Stadt. Meiner Meinung nach müsste man doch interne Untersuchungen anordnen und schauen, wo der Hund begraben liegt», so S.T. 

Auch die beiden Stadtparlamentarierinnen Maja Dörig und Alexandra Akeret sehen Handlungsbedarf und reichten eine Interpellation mit dem dem Titel «Wie steht es um die neue Spitex St.Gallen AG?» ein. Sie wollen unter anderem wissen mit welchen Begründungen die Mitarbeiter gekündigt haben und was konkret gegen die Kündigungswelle unternommen wird. Weiter fragen sie, wie die Qualität der Leistungen der neuen Spitex geprüft werden und wer dafür zuständig ist.

Als es um die Gründung der neuen Spitex St.Gallen AG ging, versicherte der Stadtrat, man wolle das Personal mitnehmen und in die Entscheidungen miteinbeziehen. «Wie wurde dieses Versprechen umgesetzt? Wie sollen die Angestellten der neuen Spitex St.Gallen in Zukunft involviert werden?», so die Politikerinnen.

Michael Zellweger, Geschäfsführer Spitex St.Gallen AG Bild: zVg

Rekrutierung läuft auf Hochtouren

Geschäftsleiter Michael Zellweger bestätigt gegenüber stgallen24, dass es seit dem 1. Januar 2021 insgesamt 34 Kündigungen gab: «Diese neue Situation schafft Unsicherheiten, verändert Prozesse und stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter. Hinzu kommt, dass unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen – auch in einem Mikrokosmos wie der Stadt St.Gallen. Wir bedauern, dass dieser Veränderungsprozess zu vermehrten Kündigungen von Angestellten der ehemaligen Spitex St.Gallen-Ost geführt hat.»

Insgesamt sind aktuell 141 Fachleute aus dem Gesundheitswesen und der Administration beschäftigt. «Die Rekrutierung neuer Fachkräfte läuft auf Hochtouren, damit wir auch dem grundsätzlich steigenden Bedarf nach Pflege gerecht werden können. Bis dato konnten 30 neue Mitarbeiter rekrutiert werden.» Der Versorgungsauftrag sei sichergestellt, so Zellweger.

Stadrätin Sonja Lüthi: «Versorgungssicherheit ist nach wie vor garantiert.» Bild: zVg

Auch die zuständige Stadträtin Sonja Lüthi hat Kenntnis von den neuen Kündigungen – und bedauert diese: «Ich respektiere aber den Entscheid der Mitarbeiter. Die Versorgunssicherheit ist in der Stadt St.Gallen nach wie vor garantiert.»

Ob es zu internen Untersuchungen komme oder nicht, wollte Lüthi gegenüber stgallen24 nicht konkret beantworten. Man stehe aber im Austausch mit dem Verwaltungsrat der Spitex St.Gallen AG und beurteile die Situation laufend. 

*Name der Redaktion bekannt.

Miryam Koc/Toggenburg24