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Kultur
21.03.2021

Der Skandal-Kaufmann aus bestem Hause

Im Laderaum eines Sklavenschiffs, nach einem Gemäde des schottischen Künstlers Sir Joseph Noel Paton (1821-1901)
Im Laderaum eines Sklavenschiffs, nach einem Gemäde des schottischen Künstlers Sir Joseph Noel Paton (1821-1901) Bild: Web
Hieronymus Sailer war in einen Sklavenhandel verstrickt, paktierte mit dem falschen Partner und verlor schliesslich alles.

Im Spätsommer 1551 schrieb ein gewisser Hieronymus Sailer aus Augsburg dem Bürgermeister und Rat zu St.Gallen einen Brief und bat darum, sein Bürgerrecht zu bestätigen. «Und alß ich nummen ain guth ab zwai jaren von huus, hoff, wib und kinder und ausser landts bin (…) thue mich gegen euer weisheit dienstlich bedanckhen, dz ir mich (…) in urerm burgkrecht behalten wolt.»

Zwei Jahre darauf doppelte er in deutlich fordernderemTon nach: «Mit grosser befrömbdung darin vernomen, das ir den selben nachfechtent (…) dan so in eur statt originarius civis (…) von eeren erporen bin».

Warum insistierte ein St.Galler, der seit 1542 auch Augsburger Bürger war und sein Leben in den europäischen Wirtschaftsmetropolen verbrachte, auf der Beurkundung seines St.Galler Bürgerrechts? Verständlich wird dies nur vor dem Hintergrund eines grossen Spekulationsskandals, in welchem Hieronymus Sailer seine makellose Karriere und seinen guten Ruf ruinierte.

StadtASG_Missive_702_1715 Bild: Stadtarchiv SG

Die Familie Sailer – Vertraute einer der bekanntesten europäischen Handelsfamilie

Alles hatte verheissungsvoll begonnen. Der 1484 in St. Gallen geborene Sailer wurde zur kaufmännischen Ausbildung nach Como in die Niederlassung der Handelsgesellschaft der bekannten Augsburger Patrizierfamilie Welser geschickt. Dabei folgte er der Familientradition, waren doch einige seiner Vorfahren und Verwandten bereits Faktoren (Leiter einer Niederlassung) der Welser gewesen.

Die Welser waren im Überseehandel (Gewürze, Zucker) und im Bergbau zu grossem Vermögen gekommen, was ihnen den Einstieg ins lukrative Kreditgeschäft ermöglichte.

Sailer und andere leitende Angestellte waren zwar weisungsgebunden, mussten aber Transaktionen wie Warenkäufe und Kreditvergaben selbständig durchführen.Vertrauenswürdigkeit und Loyalität waren also zentral, weshalb dieWelser bei ihren leitenden Mitarbeitern auf Angehörige oder auf langejährige Beziehungen wie zur St.Galler Familie Sailer setzten.

Hieronymus Sailer, 90 x 80 cm von Christoph Amberger 1538, Alte Pinakothek München, L. 255 Bild: Stadtarchiv SG

Eine Welser Karriere am spanischen Hof

Seit 1524 arbeitete Hieronymus Sailer in der Faktorei am spanischen Hof. Zu den frühesten dokumentierten Aufgaben des St.Gallers gehörten Kreditvergaben. Ausserdem wickelte der mittlerweile dem Adelsstand zugehörige Geronimo Sayas, wie Hieronymus Sailer in den Urkunden genannt wird, Wechselgeschäfte zwischen Spanien und Portugal ab.

Im Frühjahr 1528 schloss er im Auftrag der Welser Handelsgesellschaft mit Vertretern der spanischen Regierung einen Vertrag zur Kolonisation Venezuelas ab. Dies beinhaltete die Lizenz für die Verschiffung von 4000 afrikanischen Sklaven und 50 deutschen Bergleuten. Damit wollte man das sagenumwobene El Dorado wirtschaftlich ausbeuten.

Das Unternehmen wurde zwar 1556 erfolglos abgebrochen, was jedoch den weiteren Aufstieg Sailers nicht beeinträchtigte. Durch die Eheschliessung mit Felicitas Welser, derTochter seines Arbeitgebers BartholomäusWelser, im Juli 1533 wurde Sailer Teil der Familie. Gleichzeitig trat er in die Firmenleitung ein.

Das Selbstbewusstsein und Repräsentationsbedürfnis Sailers kommt in seinem wenige Jahre danach entstandenen Porträt zum Ausdruck. Er tritt im strengen Schwarz des spanischen Hofes und in herrschaftlicher Pose auf.

Antwerpen im 16. Jahrhundert, Stich eines unbekannten Künstlers Bild: Web

Antwerpen: Aufstieg an der Schelde …

Als Geschäftsleitungsmitglied übernahm Sailer ab 1539 die Faktorei in Antwerpen, dem damaligen Finanzzentrum der Welt. Mit der Zustimmung seines Schwiegervaters baute er dort ein Kredit- und Geldwechselgeschäft auf. Ab 1546 begann er mit der französischen Krone zu handeln. Hierfür gründete er zusammen mit dem Ulmer Diamant- und Perlenhändler Sebastian Neidhart eine Strohfirma mit Hauptsitz in Lyon.

Neidhart galt als gut vernetzter, aber auch überaus risikobereiter und profitorientierter Bankier, dem diese Investitionen mit Verzinsungen von bis zu 16% ein spekulatives Betätigungsfeld boten, das immense Gewinnen versprach. Die Geschäfte bargen jedoch nicht nur ein hohes finanzielles Risiko, sondern waren wegen des habsburgisch-französischen Konflikts auch politisch brisant.

Sailer war mit seinen engen Beziehungen zu denWelsern und als Schweizer ein idealer Geschäftspartner für Neidhart, denn «ain aydgenoss sei und die aidgenossen grosse freyhait auch verbündnus mit dem könig zu haben fürgeben». Als Schweizer konnte man auf Neutralität pochen. Es war deshalb nur folgerichtig, dass Hieronymus Sailer sein St.Galler Bürgerrecht immer wieder bestätigt haben wollte.

…und jäher Absturz

Als 1551 der militärische Konflikt zwischen Frankreich und Habsburg wieder aufzuflammen drohte und Sailers Geschäftsbeziehungen mit Frankreich, dem Erzfeind der Habsburger, bekannt wurden, liess der Hof in Brüssel Sailer und seine Geschäftspartner verhaften. Sailer wurde schliesslich zu einer Geldstrafe von 60'000 Gulden verurteilt.

Daraufhin begann ein langjähriger Prozess zwischen den Handelspartnern Neidhart und Sailer. Zwar unterstützte Bartholomäus Welser seinen Schwiegersohn und demonstrierte nach aussen hin durch Zahlung der Schulden Solidarität, schliesslich musste die Reputation der Welser gewahrt werden. Gleichzeitig enterbte er Sailer und liess ihn seine ganze Verärgerung über sein Verhalten spüren. Sailer starb krank und ruiniert 1559 in Augsburg.

Für die Welser war der Fall damit aber nicht abgeschlossen. Unzufrieden über diese Vertuschungspolitik, liessen sich einige Familienmitglieder auszahlen und gründeten eigene Handelsgesellschaften. Dadurch wurde die Kapitaldecke des Familienzweigs, dem Sailer angehört hatte, im Laufe der Zeit immer geringer, sodass er 1614 Konkurs anmelden musste.

Arman Weidenmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde