Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken Agenda
Kantone
21.03.2021

Zur Geschichte des Haldenhofs

Das Feld in der Bildmitte dieses Kupferstichs von 1761 ist St.Gallenbrunnen, rechts davon steht der «Grüne Turm»
Das Feld in der Bildmitte dieses Kupferstichs von 1761 ist St.Gallenbrunnen, rechts davon steht der «Grüne Turm» Bild: PD
Mit dem «Haldenhof» entsteht quasi ein neues Quartier zwischen Wassergasse und Felsenstrasse. Noch bis ins 18. Jahrhundert lagen dort Felder, Wiesen und Äcker.

Sankt Galli Brunnen

Auf einem Planprospekt, der die Stadt St.Gallen im 17. Jahrhundert zeigt, ist ausserhalb der Stadtmauer, zwischen der heutigen Wassergasse und der Bernegg, ein Feld eingezeichnet und angeschrieben mit «zu St.Gallen Brunn». Von dem heute nicht mehr bekannten Namen «St.Gallenbrunnen» ist bereits um 1300 als «de Fonte sancti Galli», als von einer dem heiligen Gallus geweihten Quelle, die Rede. Im Jahr 1492 wird ein Garten zu «Sant gallen brunnen» erwähnt, der an die Bernegg und «an die stras» anstosse. Um 1589 baute der schwerreiche Hans Schlumpf (1541-1594) das heutige Stadthaus an der Gallusstrasse. Gleichzeitig errichtete er auf seinem Acker am Stadtgraben, hinter dem Grünen Turm, ein Sommerhaus mit zwei Stockwerken, um «bei neuer Heimsuchung der Stadt durch die Pest in nächster Nähe einen Zufluchtsort zur Verfügung zu haben».
In der «Beschreibung der Stadt St.Gallen» von 1761 lesen wir: «Auf der Mittags- und Abend-Seiten denn ist St.Galli Brunn, KugelMoos, St.Leonhard, u.s.f. mit vielen und theils schönen Lust- und Land-Häuseren, Gärten und Aeckeren, wie rings herum auf der Ebne und beydseitigen Bergen wohl versehen.» «St.Gallus Brunn» findet sich dann auch auf einem «Grundriss der Stadt St.Gallen» von 1809. «Gallusbrunnen» (Wassergasse) wird noch erwähnt in den Adressbüchern der Stadt St.Gallen von 1861 bis 1875. Dazu schrieb der Maler und Geschichtsschreiber Georg Leonhard Hartmann (1764-1828): «Zuoberst an der obern Grabengasse liegt, an dem Fusse der Berneck, die alte Vorstadt St.Gallibrunnen, in der nunmehr das sogenannte Seelenhaus, das heisst das Krankenhaus für Fremde, sich befindet.» Das «Seelenhaus» ist an der heutigen Wassergasse eingetragen als «Fremden Spital» auf dem «Uebersichtsplan der Stadtgemeinde St.Gallen» von 1863. Diese «Wohlfahrtseinrichtung» befand sich in der Spiservorstadt, bis sie 1821 «als neues Seelhaus oder Fremdenspital» an der Wassergasse eingerichtet werden konnte. Aufnahme fanden durchreisende dürftige Kranke und Arme sowie in der Stadt angestellte Dienstboten, Knechte und Handwerksgesellen.

Das ehemalige Fremdenspital an der Wassergasse Bild: PD

Als 1867 das neue Gemeindekrankenhaus an der Rorschacher Strasse gebaut war, wurde das Fremdenspital aufgehoben und dessen Gebäude verkauft. Später befand sich in diesem Haus an der Wassergasse 22 das «Restaurant Buchegger», dessen Name auf den «Speisewirth» Franz Karl Buchegger zurückging. Seit etwa 1948 war es dann das «Restaurant Gallusbrunnen». Der 1923 geborene und an der Wassergasse aufgewachsene Hans Tobler kann sich an das alte Fremdenspital bzw. Restaurant erinnern, liessen doch die Stockwerkgrundrisse und die Tatsache, dass «alle Zimmer ihre Türen zum Gang hatten» die einstige Zweckbestimmung des Hauses noch erkennen. Er wusste zudem zu berichten, dass «im angebauten kleinen Leichenhaus» der Kohlenhändler Max Hermann Källi (1897-1989) eine «Holzspalterei» betrieb. Erwähnt sei noch das «Gallusbrünneli» an der Wassergasse. Am Haus Wassergasse 23 wies einst ein farbiges Tafelbild auf die alte Quelle hin, die diesen «Methusalem der St.Galler Brunnen», speiste. Seine bildstockähnliche Umrahmung schmückt ein verunglücktes Mosaik von Gallus und dem Bären. In seiner jetzigen Fassung stammt es aus dem Jahr 1894.

Das ehemalige Restaurant Gallusbrunnen an der Wassergasse 22 Bild: PD

Die Wassergasse

Vom Grünen Turm aus, der 1839 abgebrochen wurde, führt die Wassergasse zur Teufenerstrasse, sozusagen als nördliche Begrenzung des Haldenquartiers. Nach Martin Arnet entstand der Gassenname erst im 19. Jahrhundert, weil sich entlang des Strassenzuges die Wasser sammelten, die von der Bernegg herunterflossen. An dieser Gasse wurde seit 1721 eine Weberei betrieben, welche diese Wasserkraft nützte. Es war die «Fabrik» des Peter Bion (1684-1735), der 1717 in das Bürgerrecht der Stadt aufgenommen wurde und hier Barchent zu weben begann. Wenn man die Pläne zur baulichen Entwicklung der Stadt St.Gallen von 1830, 1860 und 1880 miteinander vergleicht, stellt man auch für diese «Vorstadt» einen gewaltigen «Bauboom» fest. Nachdem bereits um 1830 beim Grünen Turm das heutige «Einstein» als «Appretur-Etablissement» gebaut worden war, wurden im 19. Jahrhundert beidseits der Wassergasse immer mehr Gebäude errichtet. Erwähnt sei als Beispiel die Schlosserei Tobler, die von 1879 bis 1957 in dieser Gegend betrieben wurde. Hans Tobler trat 1941 «in die väterliche Firma ein». In einem Gespräch im Januar 2020 erzählte er, die Wassergasse sei früher der Inbegriff einer kleinbürgerlichen Arbeits- und Lebensgemeinschaft gewesen, wo man auf einer Länge von einem halben Kilometer alles erhalten konnte. Toblers Elternhaus war der «Grundstein», die heutige «Velo-Flicki» an der Wassergasse 13. Dieses Haus war von 1938 bis 1945 dank Toblers Mutter Luise Tobler-Engler (1894-1985) «Zufluchtsort für viele jüdische Flüchtlinge».

Etwas weiter westlich, an der Haldenstrasse 1, befand sich bis 1945 das «Deutsche Heim», wo 1940 «Führers Geburtstag» gefeiert und 1945 noch eine «Feier der Machtübernahme» veranstaltet wurde. Hans Tobler erzählte, die Wände des Raumes seien von oben bis unten mit Hakenkreuzfahnen verhängt gewesen, und dort seien Deutsche, die nicht der Partei angehörten, hart bedrängt und zum Mitmachen genötigt worden. Den Schweizern gegenüber habe man Zurückhaltung geübt, um nicht aufzufallen. Ganz in der Nähe, an der Kapellenstrasse, bezog 1919 die ostjüdische Gemeinde ihre neue Synagoge, die im Volksmund «Judechele» genannt wurde. Als Nachbarn hörten die Toblers «den Rabbi am Sabbat seine Rituale singen», und «das jüdische Neujahr und das Laubhüttenfest» waren ihnen ein Begriff. Die Sanktgaller Juden hatten 1881 ihre Synagoge an der Frongartenstrasse eingeweiht. Nach Hans Tobler waren «unsere Juden» integriert, wohingegen die vor allem aus Polen und Rumänien anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts eingewanderten orthodoxen «Ostjuden» einem «weniger nahe waren». «Trotz der grossen Gegensätze lebte man friedlich nebeneinander, miteinander wäre übertrieben gesagt.»

«Führergeburtstag» 1940 im Deutschen Heim an der Haldenstrasse 1 Bild: PD

Haldenhof und Haldenstrasse

Der Name «Haldenhof» fehlt in den Adressbüchern von 1861 und 1875 noch. Im Adressbuch von 1888 findet sich dann die Haldenstrasse, 1903 auch der Haldenhof. Den Namen erhielt das kleine Quartier südlich der Wassergasse vom Hausnamen «Haldenhof». An der Haldenstrasse standen um 1903 etwa zehn Gebäude; im «Haldenhof» sind fünf Häuser erwähnt. Auch das «Haldenquartier» war eine «kleinbürgerliche Arbeits- und Lebensgemeinschaft», die hier, gegenüber dem Rosenberg und «schattenhalb», sich niederzulassen begann: Beamte, Lehrer, Angestellte, Kaufleute, Handwerker, Textilarbeiterinnen. Nach dem «Adressbuch der Stadt St.Gallen» von 1903 wurde damals im «Haldenhof» eine «Kneipp'sche Badanstalt» betrieben; auch eine «Papiersackfabrik» gab es dort. Im Zusammenhang mit der Textilindustrie sind ein Appretierarbeiter, ein Posamenter und ein Ausrüstgeschäft erwähnt, sodann eine «Decorations- und Flachmalerei», ein Schlosser, ein Zimmermann, ein Postillon, ein Kaufmann und ein Privatier. Anton Pfister-Schmidhauser war Wechselund Effektensensal (Handelsmakler), der «An- und Verkauf von soliden Wertpapieren, Agenturen und Liquidationen» anpries. Für ihn baute 1902 der bekannte Architekt und Bauunternehmer Wendelin Heene (1855-1913) das Doppelwohn- und Geschäftshaus Haldenstrasse l/5. Etwas später, 1906, wurde für den Konditor Anton Engeler-Thoma an der Wassergasse das heute noch bestehende Wohn- und Geschäftshaus «Zum Auto» errichtet. Dieser Bau fällt in die Zeit der Stickereiblüte und des Jugendstils (um 1900). In der Stadt St.Gallen knatterte 1899 die erste «Benzindroschke» über das holperige Pflaster, und zehn Jahre später gab es hier bereits etwa fünfzig Autos.

Postkarte; Ansicht von Süden auf den heutigen Haldenhof Bild: PD

Ausklang

Nach dem Ersten Weltkrieg liess ein Nachkriegsboom die Exportzahlen für die Stickereien in den Jahren 1919/20 noch einmal massiv ansteigen. Aber danach setzte in der sanktgallischen Hauptindustrie – eben der Stickerei – eine Depression ein, die ihren Tiefpunkt um 1935 erreichte. Die Stickereikrise und die beiden Weltkriege hatten zur Folge, dass die Bautätigkeit in der Stadt St.Gallen beinahe stillstand. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam dann um 1950 der Aufschwung, und die Bautätigkeit hatte eine Konjunktur, die bis heute andauert: Öffentliche Bauten und neue Wohnquartiere entstanden; ganze Strassenzüge und Stadtquartiere wurden verändert, wie beispielsweise das Bleicheliquartier (seit 1970), die Wassergasse und der «Haldenhof».

Dieser Text von Ernst Ziegler ist aus dem LEADER Special Haldenhof. Die LEADER-Herausgeberin MetroComm AG aus St.Gallen betreibt auch stgallen24.ch.

Ernst Ziegler, ehemaliger St. Galler Stadtarchivar