Ein mit unzähligen Bedeutungen aufgeladenes Stück Stoff erhitzt die Gemüter: das Tuch, mit dem sich religiöse Frauen ihren Kopf, ihr Antlitz und mitunter den ganzen Körper bedecken. Doch das Gebot für Frauen, sich das Haupt zu verhüllen, ist seit Jahrhunderten ebenso Bestandteil der europäischen Kultur. Seine Geschichte reicht von den Anfängen des Christentums bis in unsere Zeit.
Warum sind die Frauen verhüllt?

Als sündig und den Männern verfügbar gelten
Während ein Teil der jungen Musliminnen sich in der Öffentlichkeit gegenüber Fremden verschleiern muss, da sie sonst als sündig und den Männern als verfügbar gelten, kreieren andere eine Art Streetwear-Look, farbenfroh und frech, sexy und züchtig zugleich. Im Iran stellen sich Aktivistinnen mit offenem Haar gut sichtbar auf belebte Kreuzungen und schwenken als Zeichen des Protests ihr Kopftuch, während im Westen sich Designerinnen an der Mode der 1950er Jahre orientieren und Vintage-Kopftücher im Programm führen. «Modest Fashion», körperferne Kleidung ist über Religion hinweg weltweit ein Milliardengeschäft. Queen Elizabeth II. trägt nach wie vor als persönliches Branding ein Kopftuch von Hermès, nicht nur wenn sie ausreitet.

Keine totale Verhüllung im Koran gefordert
Die Verhüllungsvorschriften, die sowohl der sunnitische als auch der schiitische Islam propagieren, sind im Koran nicht existent. Im Koran steht lediglich, dass die Frau ihre «Aurah» zu bedecken hätte. Aurah schließt den Kopf jedoch definitiv aus.

Vor Wind, Sonne und Sand sich schützen
Der Ursprung der Verhüllung an sich liegt in der VOR-islamischen Sunnah begründet. Schon Jahrhunderte vor Muhammad gab es zahllose Reitervölkchen in Arabien und den angrenzenden Gebieten, bei denen es Sunnah (Brauch, Sitte, Gewohnheit, Usus, Tradition) war, sich vor Wind, Sonne und Sand mittels diverser Tücher zu schützen.
Der Brauch wurde schon vor dem Koran gelebt
Dies war auch durchaus vernünftig wegen der dortigen klimatischen Bedingungen, hatte aber mit Religion oder Glaube nichts zu tun. Auch das Umfeld des Propheten Muhammad lebte diesen und viele andere Bräuche, lange bevor Muhammad den Koran übersandt bekam.
Ureigentlich klimatisch getragen
Und erst viele viele Jahrzehnte nach Muhammads Tod hat sich die sunnitische Sunnah gebildet, in der leider Gebote aus dem Koran mit der vorislamischen Sunnah vermischt wurden. Der gläubige Sunnite macht hierbei den Fehler, der Muslima die Verschleierung grundsätzlich vorschreiben zu wollen, obwohl es ureigentlich nur dort getragen wurde, wo es klimatisch bedingt sinnvoll war.
Kurz gesagt:
Es ist keine islamische Pflicht, Kopf oder Gesicht in irgendeiner Weise zu verhüllen.
Aus psychologischer Sicht trägt leider jedes einzeln getragene Kopftuch dazu bei, den Druck auf die unverhüllten Muslima zu erhöhen, sich ebenfalls zu verhüllen. Die islamischen Eiferer bezichtigen die unverhüllten Frauen nämlich allzu gerne der sogenannten Unzucht, also dem vor- oder ausserehelichen körperlichen Umgang mit dem anderen Geschlecht. Pauschal einfach nur weil sie unverhüllt sind. Insbesondere für pubertäre Muslima ist das äusserst kritisch, da man in diesem Alter sehr stark glaubt, auf die Akzeptanz des Umfeldes angewiesen zu sein.
Unanständige Kleidung im christlichen Glauben
Zu Beginn der 1920er Jahre beklagt der Papst den Leichtsinn von Frauen, die sich beim Tanzen in «unanständiger» Kleidung über die Grenze der Schamhaftigkeit hinwegsetzen.
Zur Zeit des autoritären österreichischen Ständestaates und des Nationalsozialismus sollen Kopftuch und Dirndl Heimat und Bodenständigkeit vermitteln.
In den 1950er Jahren steht das bedruckte Kopftuch als Modeaccessoire für Luxus, Eleganz und Emanzipation. Schritt für Schritt werden die Machtverhältnisse in den Geschlechterbeziehungen hinterfragt.

Bedecktes Haupt als Vorrecht verheirateter Frauen
Für die Christen wird der Schleier zum Sinnbild der Ehrbarkeit, Schamhaftigkeit und Jungfräulichkeit. Der Apostel Paulus fordert von den Frauen, ihr Antlitz mit einem Schleier zu verhüllen, wenn sie mit Gott reden.
Offenes Haar gilt als unsittlich, nur der Jungfrau Maria kommt mitunter solches zu. Das bedeckte Haupt zählt zum Vorrecht verheirateter Frauen wie zur Ordenstracht der Nonnen. Trauernde legen den Witwenschleier an. Im Spätmittelalter bestimmen in den Städten Europas Kleiderordnungen, wie sich die Frauen Kopf und Hals zu umhüllen haben.