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Kantone
29.12.2020

Kavalleriekaserne als Asylheim

Im «Atlas novus […]» von Tobias Conrad Lotter aus Augsburg wird das Königreich Polen nach der ersten Teilung von 1772 gezeigt. In gelber Farbe Restpolen, grün, hellgrün und rosa sind die Gebiete, die den drei Teilungsmächten zugeschlagen wurden. Mit der 3. Teilung von 1795 war das Schicksal Polens als eigenständiger Staat besiegelt (Signatur: KPC 8/02).
Im «Atlas novus […]» von Tobias Conrad Lotter aus Augsburg wird das Königreich Polen nach der ersten Teilung von 1772 gezeigt. In gelber Farbe Restpolen, grün, hellgrün und rosa sind die Gebiete, die den drei Teilungsmächten zugeschlagen wurden. Mit der 3. Teilung von 1795 war das Schicksal Polens als eigenständiger Staat besiegelt (Signatur: KPC 8/02). Bild: zVg
Der Kanton St.Gallen nahm im 19. Jahrhundert polnische «Bootsflüchtlinge» auf. Sie wurden in der Gallusstadt interniert.

Archivsplitter

Die Lesesaalschliessung während der Corona-Pandemie brachte das Team des Staatsarchiv im Kanton St.Gallen auf die Idee, Kleinbeiträge zu kantonalen Geschichten zu verfassen. stgallen24 stellt diese in regelmässigen Abständen vor. Für mehr historische Einblicke rund um St.Gallen klicken Sie hier.

Verstärkte Russifizierungspolitik

Ende des 18. Jahrhunderts teilten die Mächte Russland, Preussen und das habsburgische Österreich Polen, einen der grössten Flächenstaaten Europas, unter sich auf. Die stolze Nation revoltierte in der Folge wiederholt gegen dieses Unrecht. Der Januaraufstand von 1863/64 im russischen Teil Polens war eine der folgenreichsten Erhebungen. Ihr Misslingen führte zu einer verstärkten Russifizierungspolitik und zur Emigration, ja Flucht, vieler Menschen – insbesondere auch aus Kreisen der polnischen Elite.

Hauptquartier der Asylsuchenden

Im Protokoll des St. Galler Regierungsrates wird unter dem Datum des 16. März 1864 erstmals von solchen polnischen Flüchtlingen im Kanton St. Gallen berichtet. 25 Personen waren, per Dampfboot von Lindau herkommend, im Hafen von Rorschach eingetroffen. Sie hatten eine Odyssee durch halb Mitteleuropa hinter sich. Zunächst hielten sich die Polen am Bodensee auf. Später wurde die Kavalleriekaserne der Kantonshauptstadt zum Hauptquartier der Asylsuchenden. Einige Männer reisten recht bald wieder weiter, andere stiessen neu dazu. Zwischenzeitlich stieg ihre Zahl auf über 60 Personen.

Die Zuzüger seien fleissig, würden keine Probleme machen

Bei einem grossen Teil handelte es sich um Soldaten und Offiziere. Allerdings befand sich auch eine Mutter mit Kind darunter. Das Asylrecht war im jungen Bundesstaat noch wenig entwickelt. Auch deshalb korrespondierten die St. Galler Regierung und «Bundesbern» eifrig miteinander. Die alles entscheidende Frage war: Welche staatliche Ebene muss für welche Kosten aufkommen? Unstrittig war immerhin, dass die den Polen zugeschriebenen Charaktereigenschaften dem st. gallischen Wertekanon entsprachen:  Die Zuzüger wären fleissig und machten keine Probleme, wurde berichtet.

Rorschacher Hafen mit Hafenbahnhof am Morgen, 1860 (Signatur: ZMH 61/001). Bild: zVg

Quelle: Verhandlungsprotokoll des Kleinen Rats / Regierungsrats, Signatur: ARR B 2.

Über das Staatsarchiv 

Das Staatsarchiv des Kantons St.Gallen ist das Gedächtnis des Kantons. Als modernes Informationszentrum beraten sie Behörden und Dienststellen bei der Erstellung und Verwaltung ihrer Dossiers und stellen die dauernde Aufbewahrung sicher.

Auch Unterlagen privater Institutionen, Organisationen, Familien und Einzelpersonen, die für die Geschichte des Kantons und seiner Bevölkerung von Bedeutung sind, nehmen sie dauerhaft in das Archiv auf. Sämtliche erschlossenen Unterlagen können so den staatlichen Stellen, der Wissenschaft und Privatpersonen zugänglich gemacht werden.
Als Kompetenzstelle für Geschichte und Archivistik wertet das Staatsarchiv mit im Regierunsgebäude, am Klosterhof 1, Unterlagen selber aus in Publikationen, mittels Ausstellungen und an Fachtagungen zur Unterstützung und Anregung der entsprechenden Forschung.

Staatsarchiv des Kantons St.Gallen