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Wildhaus-Alt St. Johann
26.11.2020
26.11.2020 16:43 Uhr

Warum Familie Rutz das Toggenburg verliess

Wappen der Familie Rutz
Wappen der Familie Rutz Bild: Familie Rutz privat
Als Wildheuer wurde es im «Schöne Bode» (bei Wildhaus) finanziell unmöglich, weiterzuleben.

Urgrossvater Johann Conrad wurde in Stein im Toggenburg geboren. 

Die drei Sitzenden: Albert, Johann Conrad Rutz (1850 - 1907), Adolf, die vier Stehenden: Gallus, Anton, Hermann und Conrad (der Grossvater von Heinrich) Bild: Familie Rutz privat

Johann Conrad selbst war zuerst Bauer, dann Metzger, später führte er eine Bäckerei und schliesslich die Wirtschaft Sonne in Kirchberg. Sie brachte aber nicht viel ein, und somit musste er sie wieder verkaufen. Kurz bevor sich ein Interessent meldete, der die Wirtschaft um 18.00 Uhr anschauen wollte, liess er auf der Baustelle nebenan verkünden, dass es am Abend um 18.00 Uhr in seiner Wirtschaft Freibier geben würde. Natürlich war die Wirtschaft somit ganz voll, als der Interessent kam und Johann Conrad konnte sie zu einem guten Preis verkaufen.

Es ist bekannt, dass Sohn Conrad (1880 bis 1953) eine Bäckerlehre begann. Nach einem Streit mit dem Lehrmeister nahm sich Conrad vor, sich zu rächen. Fortan formte er die «Vierpfünder» aus ca. fünf Pfund Brotteig. Der Bäckerchef bemerkte dies nicht. Doch bald sprach sich herum, dass die «Vierpfünder» schön gross seien.

Wildhaus Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Die Bäckerei machte zusätzlich Umsatz, welcher den Mehrverbrauch von Teig mehr als kompensierte. Für Conrad hiess dies aber, auch Mehrarbeit zu leisten, bis die Bäckersleute ihm auf die Schliche kamen.

Später musste die Bäckerei zum Verkauf ausgeschrieben werden. Das Personal wurde instruiert, die Eingangstüre sehr oft zu betätigen, ein Begrüssungs- und Einkaufsgespräch in Gang zu bringen, sobald sich ein Interessent mit Conrad im Untergeschoss, in der Backstube, befand. Es sollte damit der Eindruck erweckt werden, als würde die Bäckerei fleissig besucht.

Ungefähr 1895 zog die Familie nach Bazenheid. Dort besuchte Johann mit seinem Bruder Hermann die katholische Schule, wo man Uniform und Mütze trug.

An einem gewöhnlichen Morgen sagte Johann Conrad beim Frühstück: «Conrad und Hermann, jetzt ist fertig Schule! Praxis ist viel mehr wert!»

Er ging mit den beiden Buben im Dorf herum, vom Schmied zum Metzger usw. auf der Suche nach Lehrstellen. Conrad kam zu einem Flachmaler in die Lehre und Hermann zu einem Schmied (später wurde auch er Flachmaler).

Oberes Toggenburg Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Conrad übersiedelte ins Emmental, wo er in einer Möbelfabrik und Sägerei Arbeit fand. Der Chef war Niklaus Mühletaler von Kirchberg und Lützelflüh Bern. Er war Hauptmann in der Feuerwehr, Leutnant im Militär (geschenkter Grad) und wohnte zusammen mit vier Brüdern und sechs Schwestern. In Lützelflüh befand sich sein Möbelgeschäft, in welchem Conrad Rutz als Holzeinkäufer angestellt war. Bei Mühletalers wurde noch im hauseigenen Sticklokal gearbeitet, oft gab es dort die Handmaschine mit Faden zu bestücken (12 x 26 Nadeln), um dann die Tüchlein auf den Hartkissen (mit Grüsche gefüllt) zu bearbeiten.

Louise Mühletaler wuchs mit ihren Geschwistern in einfachen Verhältnissen im Bauerndorf Alchenflüh im Emmental auf. Sie wurde später Bürogehilfin im Möbelgeschäft, wo auch Conrad Rutz angestellt war. Am 22. August 1905 heiratete Conrad Rutz die Tochter des Chefs, diese Louise Mühletaler.

Bernbiet (Symbolbild) Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Zusammen verliessen sie das Bernbiet und zogen nach Zürich. Aus dieser Ehe entstanden drei Kinder: Max (1906 bis 1998), Hans (1907 bis 1959) und Guido 1909 bis 1998). Sie besuchten alle die Primarschule in der Gegend in Zürich, wo sie wohnten.

Max besuchte die Handelsschule, Hans begann eine Banklehre bei der Eidg. Bank, Guido machte seine Lehre beim Vater Conrad. Nach den Ferien sagte Conrad zu Max: «So, fertig mit Schule, Praxis ist wichtiger!», nahm ihn zur Schule heraus und hiess ihn, in einem Stoffgeschäft eine Lehre zu beginnen. Dasselbe «Debakel» wie eine Generation früher.

Johann Conrad starb und hinterliess seine Familie ohne Einkommen. Die Familie konnte in der eigenen Familie unterkommen.

Zürich Bild: toggenburg24/Web/freie Nutzung

Conrad war ein Humorist und machte sich 1925 selbständig. Das Büro hatte er zuhause, das Furnier-Lager befand sich gerade hinter dem Landesmuseum. Er arbeitete noch als Statist und Bühnenarbeiter am Opernhaus, um zusätzlich Geld zu verdienen. Später gründete er eine Furnier-AG und ermöglichte gleich allen drei Söhnen eine Anstellung bei sich selbst. 

So kam es, dass die weitere Generation mehrheitlich auch im Furnierhandel blieb.

Heinrich Rutz, Sohn von Max, spezialisierte sich später auf Rundholz und bewegte sich im asiatischen Raum, wo er Holz aus Europa verkaufte, und dies wurde dann in Asien zu Parkett verarbeitet. Dieses Parkett ging dann wieder zurück nach Europa. Ein reger Handel entstand und viele internationale Bekanntschaften. Ruedi, der Bruder von Heinrich wurde Furnierhändler in Kenntucky USA. Der Sohn von Hans, Martin Rutz gründete ebenfalls einen Furnierhandel und leitete diesen bis zu seiner Pensionierung. Er kaufte vor allem Furnier in Übersee für die Grossmöbelindustrie in der Schweiz. So kam er wieder viel zusammen mit seinem Cousin Ruedi.

Warum Johann Conrad aus dem Toggenburg wegzog, hatte einen einfachen, wenn auch traurigen Grund. Er hatte neun Kinder und Hunger und Armut trieben ihn ins Unterland. Das Toggenburg war zu karg und bot wenig, um so eine grosse Kinderschar zu ernähren.

Andere Schweizer zogen aus demselben Grund noch weiter, nämlich nach Amerika.

Schweizer Geschichte - Auswanderer nach Amerika (nationalmuseum.ch)

Patricia Rutz/toggenburg24