Eine gute Story ist auch die Bachstiftung. Wie kamen Sie auf die verrückte Idee, sämtliche Vokalwerke von Bach in der Ostschweiz aufzuführen und aufzunehmen?
Zentral war die personelle Konstellation von Ruedi Lutz und mir. Wir sind beide St.Galler, wir hatten hier schon vorher vieles kulturell gemacht, wir hatten damals 20 Jahre Wort & Klang von Wegelin hinter uns, wir hatten bereits eventmässig mit dieser Stadt gespielt, wir hatten Konzerte in einem Stahlwerk und im Sittertobel gemacht. Darum war es logisch, dass wir unser nächstes Ding auch in St.Gallen und Umgebung machen. Dass wir auf Trogen als wichtigsten Aufführungsort gekommen sind, war vor allem, weil wir dort einen ideal dimensionierten Konzertraum haben. Veranstalter ist dennoch die Johann Sebastian Bach-Stiftung St.Gallen.
Wovon der Brand St.Gallen profitiert.
Vermutlich wird St.Gallen nie so oft im Internet erwähnt wie im Zusammenhang mit der Bachstiftung. Wir sind auch in São Paulo, Mexiko-Stadt und Los Angeles bekannt.
Die Idee war nicht gerade bescheiden.
Nein. Meine Intention war «glocal»: Lokal etwas auf die Beine stellen, dann aber so schnell wie möglich über Social Media in den globalen Bereich hinaus gehen. Den regionalen und nationalen Level wollten wir überspringen – das ist gelungen. Die moderne Kommunikation hat auch ihre Vorteile.
Bräuchten wir mehr solche Denke, solche Projekte, damit St.Gallen wieder etwas mehr funkelt und strahlt? Wenn man den St.Galler Bahnhof betrachtet, merkt man, dass hier früher in anderen Dimensionen gedacht wurde.
Wir müssen grosszügig denken und dann auch umsetzen, im Vertrauen darauf, dass wir es hinbekommen. Doch die schiere Grösse ist nicht das, was zählt, vielmehr braucht es einen unbedingten Willen zur Qualität. Und wir brauchen eine Willkommenskultur für den Erfolg, auch für den wirtschaftlichen Erfolg. Das ist meine grösste Sorge, das ist es, was ich kritisiere: Dass man fahrlässig sehr gute Positionen aufgegeben hat. Und gar nicht merkt, was man da eigentlich in der Hand hätte.
Was haben wir denn?
Das grossartige Projekt für die Erneuerung des Textilmuseums zeigt: Wenn ein Projekt gut ist, ist es auch möglich, es zu realisieren. Das müsste nun bei der Bibliothek auch passieren, dass man sich auf eine machbare Dimension und auf ein attraktives Konzept einigt und das dann durchzieht. Auch bei der HSG muss das Bekenntnis zur Qualität so unbedingt werden wie bei der ETH: Wir wollen die besten Studenten, nicht so viele wie möglich.
Hat St.Gallen ein politisches Problem, oder liegt es an der Mentalität?
Es liegt an der Mentalität. Die Politik würde schon umsetzen, was das Volk will. Als die Leute während Corona merkten, dass es mit weniger Einsatz auch geht, dass sie nur 60 Prozent zuhause im Pyjama arbeiten können, war das eigentlich eine Katastrophe. Die Folge ist der Fachkräftemangel: Den haben wir nicht, weil wir zu wenig Leute haben, sondern weil diese weniger arbeiten wollen. St.Gallen erging es nach der Textilkrise genau gleich. Die Leute merkten, dass sie auch so durchkommen, wenn sie vielleicht etwas bescheidener sind. Der Schock hatte sie nicht zu einer Reaktion angestachelt, sondern zur Lethargie geführt. Aus diesem Modus müssen wir rauskommen. Und das können wir auch, davon bin ich überzeugt.