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04.07.2025

Die Geschichte der Magdalena Horber

Ratsprotokoll vom 11. August 1573: «Horberin im Seelhus»
Ratsprotokoll vom 11. August 1573: «Horberin im Seelhus» Bild: StadtASG, RP 1573
Das Stadtarchiv der Ortsbürgergemeinde hat den Briefverkehr («Missiven») der Stadt St.Gallen von 1400 bis 1650 digital erfasst. Als «Missive des Monats» stellen wir Ihnen jeden ersten Freitag im Monat ein besonders interessantes Schriftstück vor. Heute skizzieren wir ein St.Galler Frauenschicksal im 16. Jahrhundert nach.

Am 7. November 1557 schrieben Bürgermeister und Rat von Zürich ihren Amtskollegen in der Gallusstadt einen Brief und orientierten sie über eine Bitte der St.Gallerin Magdalena Horber. Dieses «arme mentschlin» – ein Begriff, der für unverheiratete Mägde gebraucht wurde – war im Vorjahr bei der Heuernte in Unterwalden von einer Schlange gebissen worden.

Die daraus resultierende Verletzung war aber nie ordentlich verheilt. Deshalb hatte sich Magdalena Horber in Zürich von einem Wundarzt operieren lassen müssen. Sowohl der chirurgische Eingriff als auch die nachfolgende Pflege hatten nun aber ihre gesamten Ersparnisse aufgebraucht. Deshalb bat sie auf offiziellem Weg über den Zürcher Rat, dass die St.Galler Obrigkeit ihre Verwandten «umb ein stür und hilf» anhalte.

Das Ziel des Schreibens war es also, dass die in St.Gallen und Umgebung lebenden Angehörigen Magdalena Horber finanziell unter die Arme griffen.

Ein offizieller Läufer in den Standesfarben von Luzern und mit einem Botenstock überbringt einen gesiegelten Brief nach Zürich. So oder so ähnlich hat auch der Postverkehr zwischen Zürich und St.Gallen ausgesehen. Illustration aus der Chronik von Christoph Silberysen, um 1650 Bild: Kantonsbibliothek Aargau, Miscellanea, MsWettF 33, Fol. 3r.

Ein Brief mit ungeahnten Folgen

Die St.Galler Obrigkeit klärte deshalb ab, wie es um die Finanzen der Familie Horber stand. Die Ergebnisse sind im Stadtarchiv des Ortsbürgergemeinde St.Gallen überliefert. Gemäss Eintrag im Ratsprotokoll war ein gewisser Hans Horber, wohl der Vater von Magdalena, «ain schlechter, armer Mann», bei dem nichts zu holen sei.

Um auf Nummer sicher zu gehen, wurde Hauptmann Brülisauer beauftragt, weitere Erkundigungen einholen.

Erste Erwähnung Han[n]s Horbers im Ratsprotokoll vom 7. Dezember 1557. Typisch für diese Zeit ist die phonetische Schreibweise der Eigennamen, die durch den Dialekt geprägt ist. Die Zürcher schreiben in ihrem Brief Horwer, die St.Galler Horber Bild: StadtASG, RP 1557

Kurz vor Weihnachten befasste sich der Rat erneut mit Hans Horber, ob aufgrund der Informationen von Hauptmann Brülisauer oder aufgrund von Ereignissen, die sich unabhängig davon in der Zwischenzeit zugetragen hatten, bleibt offen. Horber war ins städtische Gefängnis gekommen, nachdem er mehrere Personen in der Öffentlichkeit beleidigt hatte.

Erst auf Bitten von Freunden und Verwandten wurde er entlassen, musste dafür jedoch eine sogenannte Urfehde unterschreiben. Dabei handelte es sich um ein urkundlich beglaubigtes Gelübde, sich inskünftig rechtskonform zu verhalten. Des Weiteren wurden darin spezifische Bewährungsauflagen aufgeführt und Sanktionen bei Nichtbefolgung angedroht.

Im Vordergrund rechts das Seelhaus oder Armenspital in: Aufsicht der Speiserthor Vorstadt, bey St.Gallen: No. 22, dessiné par Heinrich Thomann; gravé par Johann Conrad Mayr, St.Gallen zwischen 1790-95 Bild: VadSlg Gs o 35/22a.

So durfte Horber nicht mehr «usserhalb sinem hus zum wyn gan», also weder in Wirtshäusern noch bei Nachbarn oder Freunden. Wenn er trinken wollte, sollte er das inskünftig in Gegenwart seiner Ehefrau zu Hause tun, jedoch ohne das Beisein weiterer Zechkumpane. Ausserdem hatte er regelmässig die Predigt zu besuchen. Falls Horber gegen diese Auflagen verstiess, würde er aus der Stadt verbannt werden.

Genützt hat die Urfehde nichts. Im Ratsprotokoll vom 17. Januar 1558 ist festgehalten, dass Horber einen Müller – ob damit der Eigenname oder der Beruf gemeint ist, ist unklar – blutig geschlagen hatte. Ob Horber dabei nüchtern oder betrunken war, ist nicht erwähnt. Stattdessen heisst es lapidar: «het er nun gfrefflet, ist kundtschafft erkhennt». Er hatte damit gegen seine in der Urfehde erwähnten Bewährungsauflagen verstossen und wurde, wie angedroht, aus der Stadt verwiesen.

Ratsprotokoll vom 11. August 1573: «Horberin im Seelhus» Bild: StadtASG, RP 1573

Sechzehn Jahre später: Ein weiterer Brief erreicht St.Gallen

Was war in der Zwischenzeit mit der unglücklichen Magdalena Horber passiert? Ein Überlieferungszufall will es, dass sich im Missivenbestand des Stadtarchivs der Ortsbürgergemeinde ein weiterer Brief von ihr befindet, den sie 1573 in Winterthur an Bürgermeister und Rat von St.Gallen geschrieben und gleich selbst überbracht hatte.

Darin gab sie summarisch Auskunft über ihre Situation. Ihr Vater war mittlerweile verstorben und sie war im Spital in Winterthur untergebracht, wo sie gepflegt und versorgt wurde.

Die Operation knapp zwei Jahrzehnte zuvor in Zürich hatte nicht den erhofften Erfolg gebracht. Stattdessen waren periodisch weitere Eingriffe nötig, die schliesslich in der Amputation ihres Unterschenkels mündeten. Nichtsdestotrotz arbeitete Magdalena Horber weiterhin als Magd in Uri und schliesslich auch in Solothurn, wo sie von ihrer Dienstherrin als Dank für ihre Arbeit 100 Gulden erhalten hatte.

Dieses Geld war aber rasch aufgebraucht, so dass Magdalena Horber erneut mittellos dastand. Zwei Ehen waren kinderlos geblieben, und Verwandte hatte sie auch keine mehr. Arm und allein bat Magdalena Horber deshalb den St.Galler Rat um Aufnahme ins städtische Armenhaus beim Spisertor. Dieser Bitte wurde am 11. August 1573 entsprochen: «Horberin im Seelhuss». Dies ist die letzte Auskunft über sie, danach verliert sich ihre Spur.

Die erwähnten Missiven Nr. 761 und Nr. 1000 sind abrufbar unter:

Alle Missiven finden Sie hier:

Arman Weidenmann / Toggenburg24