Home Region Schweiz/Ausland Sport Rubriken Agenda
Magazin
08.02.2025

Die Burg Spisegg und die «Regesta Sangallensia»

Bild: Die Spiseggbrücke mit der Burgstelle (auf dem Hügel), Zeichnung von Daniel Ehrenzeller, 1826
Der St.Galler Alt-Stadtarchivar Ernst Ziegler und geborene «St.Josefler» geht in diesem Beitrag auf Spurensuche nach Gaiserwalder Orts- und Flurnamen in den «Regesta Sangallensia» – einer einzigartigen Sammlung historischer St.Galler Urkunden.

Stadtarchivar Stefan Sonderegger gab 2012, bearbeitet von Otto P. Clavadetscher, einen rund 700 Druckseiten umfassenden Band heraus mit dem Titel «Regesta Sangallensia». In diesem Werk sind über 2700 kurze Zusammenfassungen von Urkunden und anderen Dokumenten, sogenannte Regesten, aus der Zeit von 1412 bis 1463 enthalten.

Clavadetscher und Sonderegger, denen wir auch die elf gewichtigen Bände des «Chartularium Sangallense» verdanken, gehören zu den besten Diplomatikern im weiten Umkreis um den Bodensee. («Diplomatik», von «diploma» für Schreiben bzw. Urkunde, ist das Fremdwort für Urkundenlehre.)

Wer diese St.Galler Regesten studiert, stösst immer wieder auf Trouvaillen. So betrifft beispielsweise das Regest vom 30. April 1422 meine alte Heimat.

Wir erfahren daraus, dass ein Bürger von St.Gallen dem Junker Hans Spiser und seiner Gemahlin Adelheid wegen einer etwas komplizierten Angelegenheit Zins zahlen musste. Dieser Zins an den Junker Spiser war zu leisten «gen Speisegge auf ihre Feste oder in die Stadt St.Gallen». Die «Feste» oder Burg Spisegg beim Sitterübergang war also damals bewohnt, und zwar von einem Angehörigen der Kaufmannsfamilie Spiser, die der Spisegg schliesslich den Namen gab.

Bild: zVg

Die Spiser oder Speiser waren ein altes städtisches Ministerialengeschlecht der Abtei St.Gallen, dem als äbtisches Lehen eben diese Burg Spisegg gehörte. Der «dispensator», der Hausverwalter, der Speiser, hatte am äbtischen Hof das Ernährungswesen unter sich. Von Joachim von Watt (1484–1551), genannt Vadian, erfahren wir, die Spisergasse habe ihren Namen «von ainem alten Gschlecht an dem Thor gesessen, die Bisser genannt, welche an irem Wapen fuoren ainen Morenkopf, mit wiβen Binden umbschlagen». Dieses Wappen ist auch in der Chronik des Johannes Stumpf (1547) abgebildet.

Die Burgstelle Spisegg heute Bild: Konstantin von Gunten

Spiser starb vermutlich um1421; seine Frau Adelheid war seit 1424 nämlich mit dem Leinwandhändler Kaspar Hör aus einem ebenfalls alten, vornehmen Geschlecht der Stadt St.Gallen verheiratet. Diesem gehörten nicht bloss die Burg, sondern auch eine Mühle und eine Säge «bei Spisegg». Er dürfte ziemlich reich gewesen sein und über einigen Grundbesitz in Gaiserwald verfügt haben. Er und seine Brüder erhielten 1431 von Kaiser Sigismund (1411–1437) einen Wappenbrief. Sein Bruder Konrad war ein bedeutender Bürgermeister.

Bild: «Farnen», links das ehemalige Restaurant «Gemsli», 1917

Im erwähnten Regest von 1422 werden die Flurnamen «Varna» und «Steig» («Zelg») genannt; später finden sich die Namen «Hýtt» und «Spisers Rúti» bei Spisegg sowie schliesslich eine Wiese zu «Appwile», wo bei der «Mosmúly» Hör auch noch Besitz gehabt haben muss. Bei «Varna» handelt es sich um den Farnenwald oberhalb des Bauernguts «Steig», die heutige Obere Steig. In der Unteren Steig steht immer noch mein Vaterhaus.

Bild: Die grosse Wiese hinter dem Haus gegen die «Obere Steig» (heute die Umfahrungsstrasse)

Als 1660/61 oberhalb des Drachenlochs eine Kirche errichtet wurde, schleppten die Gaiserwalder für den Kirchenbau Steine der Ruine auf dem Burgstock in der Spisegg herauf. Der Schutzpatron dieser neuen Kirche war Sankt Joseph, der dann dem Dorf den Namen St.Josefen gab. Die erwähnten Güter und Weiler lagen nördlich des Dorfes.

Bild: Die «Untere Steig» um 1950

Der prachtliebende und gesellige Abt Gotthard Giel von Glattburg (1491–1504) ging bald nach seiner Wahl daran, «die eingeschlafenen Zehnten» zu aktivieren. Er war es auch, der um 1500 von Junker Spisers Kindern «um fünf hundert Gulden diese Burg, die zerfallen war, mit der Mühle, und einem Theile an dem Walde Heckdörn (Hättern)» abkaufte.

Bild: St.Josefen 1935

Dieser Burgstock war in meiner Jugend ein oft besuchter Ort, wo wir Grabungen durchführten in der Hoffnung, archäologische Funde, am Ende gar einen Schatz zu finden. Den einzigen «Schatz», den ich dort fand, war mein Schulschatz Rösli Bühler vom Gasthaus Adler in St.Josefen …

Bild: St.Josefen 1944

Die Bilder in diesem Beitrag stammen, sofern nicht aus Ernst Zieglers Privatbesitz, aus dem Buch «Gaiserwald: Abtwil, St.Josefen, Engelburg», hg. von Ernst Ziegler, Stefan Sonderegger und Daniel Studer, 2004.

Ernst Ziegler, ehem. St.Galler Stadtarchivar