Bei den im Mandat erwähnten «betrübten und gefährlichen Zeiten» handelt es sich unter anderem wohl um den Bauernkrieg von 1653 und die Flucht von 37 Reformierten aus Arth im Kanton Schwyz nach Zürich im September 1655. Die Obrigkeit war der Meinung, es gäbe angesichts der Verfolgung von Glaubensgenossen nichts zu feiern; Zurückhaltung und Besinnung hingegen seien angebracht!
Bussen für Schlittenfahren
Leider fehlen die Protokolle des genannten Bussengerichts aus dem 17. Jahrhundert. Im Protokollband des Fünfer- und Bussengerichts von 1704 bis 1717 finden sich jedoch neben Einträgen «wegen Freveln mit Wort und Werken», «wegen Tanzen-Lassen», «wegen verbotener Kleiderpracht» usw. auch Busseneinträge «wegen Schlittenfahrens»: Im März 1704 mussten Michael und Christof Am Stein, Hans Conrad Fels der Jüngere und Daniel Zollikofer je 3 Gulden, Alt-Obervogt Dr. Sebastian Högger 2 Gulden blechen, und im März 1705 zahlte Jungfer Anna Elisabeth Keller 1 Gulden.
Synode und Schlittenfahren
Mit dem Schlittenfahren befasste sich natürlich auch die Synode. Schon 1614 wurde geklagt, dass etliche Bürger «in Winter-Zeit in Renn- und anderen ihren Schlitten gen Herisau fahren, auf die Kirchweihe, und auch zu anderen Zeiten sich dahin verfügen und allerlei Mutwillen, nicht ohne Ärgernis ehrlicher Leute, anrichten».
Als im Jahr 1700 im Kleinen Rat die «Gravamina Synodi» verlesen wurden, mussten die Ratsherren auch vernehmen, «dass viele in der Fastnacht ein gottloses, heidnisches Leben geführt; andere den ganzen Winter durch von acht Uhr nachts bis gegen Morgen geschlittet und dabei grosser Mutwill mit unterlaufen» sei.
Sie gingen auf diese Klage offenbar nicht näher ein, sondern hielten allgemein bloss folgendes fest: «Und weil unter den eint- und anderen Gravaminibus man Materien beobachtet, welche nicht sowohl als Gravamina in dem Synodo anzuziehen, als aber ausser der Zeit einem regierenden Herrn Bürgermeister zu erheischender Abschaffung und Verbesserung anzubringen wären, also versieht sich ein ehrsamer Rat, dass ein ehrwürdiges Ministerium solches künftighin beobachten werde, massen wohlgedacht ein ehrsamer Rat willig und geneigt, einem ehrwürdigen Ministerio von Amts wegen in allem dem die nachdrucksame Hand zu bieten, was die Ehre Gottes und Beibehaltung anständiger Zucht und Ehrbarkeit befördern mag.»
Im «Conventus universalis» vom 11. Dezember 1704, an welchem «alle Herren Prediger in der Stadt» zugegen waren, wurde beschlossen, beim Herrn Amts-Bürgermeister zu klagen, weil «mit Schlitten an St.Mangen-Halden sowohl am Sonntag während den Nachmittags-Predigten, als fast alle Nacht, sehr viel Übles geschehe» und «ihro Ehrsam Weisheiten», d.h. den Bürgermeister und «seine wohlweise Obrigkeit», zu ersuchen, «dem bedürftigermassen abzuhelfen».
Beliebtheit des Schlittelns
Wir können nicht weiter untersuchen, wie und ob die Obrigkeit in Sachen Schlitteln «Remedur» geschaffen hat; es ist anzunehmen, dass auch hier ihre Verbote wenig nützten.
Das Schlitteln scheint ein allgemein beliebtes Vergnügen gewesen zu sein – so beliebt, dass es sogar die Herren Geistlichen betrieben! In einem Monats-Convent im März 1712 wurde folgendes protokolliert: «Schlitten-Fahren der Herren Geistlichen: Deshalb ist ein Anzug geschehen und gut erachtet worden, nachzuforschen, ob einige Unanständigkeiten dabei sich gespüren lassen.»
Wir wollen gerne annehmen, dass den Pfarrern das Seelenheil ihrer Schäfchen am Herzen lag, wenn sie sogar gegen das Schlitteln Sturm liefen. Es kommt mir hier aber auch jene Stelle in den Sinn, die der Arzt Christoph Girtanner 1800 in seinem Buch Vormaliger Zustand der Schweiz schrieb: «Überhaupt herrscht, unter der Schweizerischen Geistlichkeit, sehr viel herrnhutisches, pietistisches, frömmelndes Wesen. Kopfhängen und Augenverdrehen gilt für Andacht und Frömmigkeit, und auf steifer Rechtgläubigkeit wird streng gehalten.»
Und der gewiss unverdächtige Diakon Peter Ehrenzeller hat noch 1827 in anderem Zusammenhang geschrieben, um 1780 scheine in St.Gallen «der geistliche Sonntagszwang, der vielleicht nirgends seinesgleichen fand, wahrlich den höchsten Grad erreicht zu haben». Wobei einer seiner Namensvettern mit Recht zu bedenken gibt, dass es leicht sei, über erstarrte Orthodoxie zu spotten, wenn man dabei übersehe, dass «der reformierte Glaube ganzen Generationen inneren Halt» verliehen habe!