Was am nächtlichen Himmel zunächst wie ein Feuerwerk aussieht, sind tatsächlich Raketen, die darauf abzielen, Gebäude und Menschenleben zu zerstören. Diese Realität ist in Israel trauriger Alltag. Es gehört ebenso zum Alltag, dass sämtliche Schulbusse, bevor sie in ein Dorf einfahren, auf versteckte Terroristen überprüft werden. Darüber hinaus ist nahezu jedes israelische Dorf komplett eingezäunt und bewacht. Die Situation im Land hat sich seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober weiter verschärft, und es herrscht offiziell Krieg (siehe Kasten). Trotz dieser Umstände entschieden sich Werner und Karin Jäggi aus Diessenhofen am 12. Dezember 2023 dazu, in den Nahen Osten zu reisen, um ihre Familie während fünf Wochen zu unterstützen.
Verbundenheit zum Land
Karin und Werner Jäggi haben einen starken Bezug zu Israel. Ihr zweitältester Sohn Joel Ben Nesher lebt mit seiner Frau Esther und den vier Kindern seit über 15 Jahren dort. Seit sieben Jahren ist die Familie im Norden Israels, in Maale Gamla, zuhause. Das 1000-Einwohner-Dorf ist ein Moschav (genossenschaftlich organisierte ländliche Siedlungsform), der im westlichen Teil der Golanhöhen liegt. Maale Gamla befindet sich vier Kilometer vom See Genezareth, liegt jedoch auch sehr nahe an der Grenze zu Syrien (7 Kilometer) und dem Libanon (40 Kilometer).
Ein- bis zweimal pro Jahr besuchen Karin und Werner Jäggi ihre Familie im Nahen Osten. «Normalerweise gehen wir nicht im Dezember, sondern von März bis Mai, wenn alles blüht», so Karin Jäggi. Doch der Ausnahmezustand in Israel zwang das Ehepaar dazu, ihrer Familie und dem Land in dieser tragischen Lage beistehen zu wollen. «Die Angst vor dem, was passiert ist und noch passieren wird, ist riesig», so die Diessenhoferin mit jüdischen Wurzeln. «Bei diesem Krieg geht es um die Existenz von Israel.»
Stetige Militärpräsenz
Dass in Israel seit eh und je Konflikte zwischen den zusammenlebenden Nationalitäten herrschen, ist bekannt. Doch seit vergangenem Oktober haben diese nochmals andere Dimensionen angenommen, wie das pensionierte Ehepaar berichtet. «Wir hörten zu jeder Tages- und Nachtzeit Flugzeuge, also Militärmaschinen, am Himmel.» Das Abwehrsystem der Israelis lässt es zu, dass im Falle eines Raketenangriffs aus Syrien oder dem Libanon sofort reagiert werden kann. Die meisten Raketen werden von bodengestützten Abwehrsystemen abgefangen.
Neben der stetigen Präsenz von Drohnen am Himmel sind Explosionen ebenfalls Alltag in Israel. Diese hört man bis auf 40 Kilometer Entfernung. «Wir waren besorgt», so Werner Jäggi. Angst hatte das Ehepaar aber keine. «Die Chance, im Lotto zu gewinnen, ist grösser, als von einer Rakete getroffen zu werden.»
Jedes Haus, jede Schule und jeder Flughafen besitzt einen Bunker, in welchem sich die Bevölkerung innert 30 Sekunden nach Alarm verstecken kann. Während der fünf Wochen in Maale Gamla hat es keinen Alarm im Dorf gegeben – die Lage kann übers Handy stets verfolgt werden. «Direkt über den Nachbardörfern wurden Raketen und Drohnen abgeschossen», berichtet Werner Jäggi weiter. Mehrere Nächte lang schliefen die Enkel im Bunker, aus Angst vor einem Einbrecher, der plötzlich eine Waffe zieht. Ein besonders schlimmer Aspekt am Leben im Kriegsgebiet sei aus Sicht von Karin Jäggi das Misstrauen, das im Land zwischen den Juden und den Arabern herrsche – «denn die Religion ist äusserlich nicht sichtbar.»
Eine zusätzliche Sicherheitsvorkehrung ist, dass im Moschav jeweils zwei Männer Wachdienst am Eingangstor leisten. «Sobald es vier sind, weiss man, dass die Lage kritisch ist», führt Werner Jäggi weiter aus. Er selbst übernahm einmal eine Patrouille in der Nacht, die ebenfalls zur Beruhigung der Bevölkerung dient. «Ich fuhr in einem Privatwagen der Grenze entlang – jedoch ohne Waffe, wodurch ich mich gar nicht wohlfühlte.»
Was immens ist, sind die Kosten für dieses extrem fortschrittliche und erfolgreiche Abwehrsystem. «Schätzungsweise sind es 250 Millionen Dollar pro Tag für militärischen Aufwand, Erwerbsausfall, Soldaten und Evakuierungen», weiss Karin Jäggi von ihrem Sohn. Insgesamt wurden rund 150 000 Menschen aus dem israelischen Grenzgebiet zum Libanon und Syrien sowie dem Gazastreifen ins Landesinnere evakuiert.