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Ausland
10.03.2024

Die Schrecken des Krieges

Ein hoffnungsvoller Blick in die Ferne: Die Familie von Karin und Werner Jäggi versucht den Alltag neben den tragischen Kriegsereignissen möglichst «normal» zu gestalten. Dazu gehören auch gemeinsame Ausflüge sowie Reit- und Fussballstunden der Kinder.
Ein hoffnungsvoller Blick in die Ferne: Die Familie von Karin und Werner Jäggi versucht den Alltag neben den tragischen Kriegsereignissen möglichst «normal» zu gestalten. Dazu gehören auch gemeinsame Ausflüge sowie Reit- und Fussballstunden der Kinder. Bild: zVg. / Werner Jäggi
Ein Leben fernab von jeglicher Normalität: Über einen Monat verbrachten Karin und Werner Jäggi im israelischen Moschav Maale Gamla, um ihrer Familie in dieser tragischen Zeit beizustehen. Im Interview berichtet das Ehepaar aus Diessenhofen von seinen persönlichen Erfahrungen im Kriegsgebiet.

Was am nächtlichen Himmel zunächst wie ein Feuerwerk aussieht, sind tatsächlich Raketen, die darauf abzielen, Gebäude und Menschenleben zu zerstören. Diese Realität ist in Israel trauriger Alltag. Es gehört ebenso zum Alltag, dass sämtliche Schulbusse, bevor sie in ein Dorf einfahren, auf versteckte Terroristen überprüft werden. Darüber hinaus ist nahezu jedes israelische Dorf komplett eingezäunt und bewacht. Die Situation im Land hat sich seit dem Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober weiter verschärft, und es herrscht offiziell Krieg (siehe Kasten). Trotz dieser Umstände entschieden sich Werner und Karin Jäggi aus Diessenhofen am 12. Dezember 2023 dazu, in den Nahen Osten zu reisen, um ihre Familie während fünf Wochen zu unterstützen.

Verbundenheit zum Land

Karin und Werner Jäggi haben einen starken Bezug zu Israel. Ihr zweitältester Sohn Joel Ben Nesher lebt mit seiner Frau Esther und den vier Kindern seit über 15 Jahren dort. Seit sieben Jahren ist die Familie im Norden Israels, in Maale Gamla, zuhause. Das 1000-Einwohner-Dorf ist ein Moschav (genossenschaftlich organisierte ländliche Siedlungsform), der im westlichen Teil der Golanhöhen liegt. Maale Gamla befindet sich vier Kilometer vom See Genezareth, liegt jedoch auch sehr nahe an der Grenze zu Syrien (7 Kilometer) und dem Libanon (40 Kilometer).

Ein- bis zweimal pro Jahr besuchen Karin und Werner Jäggi ihre Familie im Nahen Osten. «Normalerweise gehen wir nicht im Dezember, sondern von März bis Mai, wenn alles blüht», so Karin Jäggi. Doch der Ausnahmezustand in Israel zwang das Ehepaar dazu, ihrer Familie und dem Land in dieser tragischen Lage beistehen zu wollen. «Die Angst vor dem, was passiert ist und noch passieren wird, ist riesig», so die Diessenhoferin mit jüdischen Wurzeln. «Bei diesem Krieg geht es um die Existenz von Israel.»

Stetige Militärpräsenz

Dass in Israel seit eh und je Konflikte zwischen den zusammenlebenden Nationalitäten herrschen, ist bekannt. Doch seit vergangenem Oktober haben diese nochmals andere Dimensionen angenommen, wie das pensionierte Ehepaar berichtet. «Wir hörten zu jeder Tages- und Nachtzeit Flugzeuge, also Militärmaschinen, am Himmel.» Das Abwehrsystem der Israelis lässt es zu, dass im Falle eines Raketenangriffs aus Syrien oder dem Libanon sofort reagiert werden kann. Die meisten Raketen werden von bodengestützten Abwehrsystemen abgefangen.

Neben der stetigen Präsenz von Drohnen am Himmel sind Explosionen ebenfalls Alltag in Israel. Diese hört man bis auf 40 Kilometer Entfernung. «Wir waren besorgt», so Werner Jäggi. Angst hatte das Ehepaar aber keine. «Die Chance, im Lotto zu gewinnen, ist grösser, als von einer Rakete getroffen zu werden.»

Jedes Haus, jede Schule und jeder Flughafen besitzt einen Bunker, in welchem sich die Bevölkerung innert 30 Sekunden nach Alarm verstecken kann. Während der fünf Wochen in Maale Gamla hat es keinen Alarm im Dorf gegeben – die Lage kann übers Handy stets verfolgt werden. «Direkt über den Nachbardörfern wurden Raketen und Drohnen abgeschossen», berichtet Werner Jäggi weiter. Mehrere Nächte lang schliefen die Enkel im Bunker, aus Angst vor einem Einbrecher, der plötzlich eine Waffe zieht. Ein besonders schlimmer Aspekt am Leben im Kriegsgebiet sei aus Sicht von Karin Jäggi das Misstrauen, das im Land zwischen den Juden und den Arabern herrsche – «denn die Religion ist äusserlich nicht sichtbar.»

Eine zusätzliche Sicherheitsvorkehrung ist, dass im Moschav jeweils zwei Männer Wachdienst am Eingangstor leisten. «Sobald es vier sind, weiss man, dass die Lage kritisch ist», führt Werner Jäggi weiter aus. Er selbst übernahm einmal eine Patrouille in der Nacht, die ebenfalls zur Beruhigung der Bevölkerung dient. «Ich fuhr in einem Privatwagen der Grenze entlang – jedoch ohne Waffe, wodurch ich mich gar nicht wohlfühlte.» 

Was immens ist, sind die Kosten für dieses extrem fortschrittliche und erfolgreiche Abwehrsystem. «Schätzungsweise sind es 250 Millionen Dollar pro Tag für militärischen Aufwand, Erwerbsausfall, Soldaten und Evakuierungen», weiss Karin Jäggi von ihrem Sohn. Insgesamt wurden rund 150 000 Menschen aus dem israelischen Grenzgebiet zum Libanon und Syrien sowie dem Gazastreifen ins Landesinnere evakuiert.

  • Achtung Minengefahr: Von den Wanderwegen sollte man hier besser nicht abkommen. Bild: zVg. / Werner Jäggi
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  • Elektrische Zäune und Stacheldraht trennen Israel von den Nachbarländern Syrien und Libanon. Bild: zVg. / Werner Jäggi
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  • Aus Sicherheitsgründen ist nahezu jedes israelische Dorf eingezäunt und bewacht.  Bild: zVg. / Werner Jäggi
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Wanderungen in Minenfeldern

Ursprünglich geplant war, dass Karin und Werner Jäggi beim Ernten auf den grossen Mango-, Bananen- oder Kaktusfeldern helfen. «Den Israelis ist es jedoch am liebsten, wenn sich Einheimische darum kümmern, damit sie weder Unterkunft noch Arbeitsbewilligung oder Versicherung organisieren müssen», so Karin Jäggi. «Deshalb unterstützten wir vor allem unsere Schwiegertochter Esther im Haushalt und mit den Kindern – brachten diese zum Reiten oder ins Fussballtraining.»

Die beiden liessen es sich auch nicht nehmen, die Grenze zum Libanon und Syrien abzufahren. «Stacheldraht und ein elektrischer Zaun verhindern, dass man da irgendwie drüber kommt.» Wie bei ihren bisherigen jährlichen Besuchen absolvierten die Jäggis auch Wanderungen durch die grossen Nationalparks. Stundenland kann man dort durch die schönsten Gegenden laufen, «aber links und rechts sind Minenfelder», so Werner Jäggi.

500 Fotos hat der Diessenhofer bei seinem letzten Besuch in Israel aufgenommen. Und wie bei den Reisen zuvor, liess er sie alle entwickeln, um sie in ein Fotoalbum zu kleben. Schönste Wanderungen und lachende Gesichter bei gemeinsamen Familienfesten – all das eingebettet in die erschütternde Realität eines Krieges.

Vom 12. Dezember bis zum 18. Januar unterstützten Karin und Werner Jäggi (hinten rechts) ihre Familie in Israel. Bild: zVg.

Hintergründe des Nahostkonflikts

Den Staat Israel gibt es seit 1948. Gegründet wurde Israel in der Region Palästina als ein Ort, an welchem die Juden nach dem zweiten Weltkrieg in Frieden und Sicherheit leben sollten (UN-Teilungsplan). Die Resolution beinhaltete die Beendigung des britischen Mandats und sah vor, Palästina in einen Staat für Juden und einen für Araber aufzuteilen. Doch Palästina und weitere arabische Länder waren damit nicht einverstanden und griffen Israel nur wenige Tage nach der Staatsgründung erstmals an. Israel konnte diesen Krieg jedoch für sich entscheiden. In der Folge flüchteten viele Palästinenser:innen nach Gaza, ins Westjordanland oder in andere arabische Länder. Der Konflikt setzte sich fort und löste in den vergangenen 75 Jahren immer wieder Kriege zwischen Israel und Palästina aus.

Der Gazastreifen ist flächenmässig etwas grösser als der Kanton Schaffhausen – doch es leben über 2 Millionen Menschen dort. Dies unter prekären Bedingungen, teils ohne Zugang zu Trinkwasser oder Elektrizität. In Gaza regiert die radikalislamische Gruppe der Hamas, die sehr gewaltbereit ist und in vielen Ländern als Terrororganisation gilt. Ziel der Hamas ist die Zerstörung Israels und die Errichtung eines islamischen Staates.

Am 7. Oktober 2023 kam es zu einem der bisher blutigsten Angriffe auf Israel. Vom Gazastreifen aus drangen Terroristen der Hamas nach Israel ein und töteten bei dem Massaker mehr als 1000 Menschen, vorwiegend Zivilist:innen. Darüber hinaus wurden über 5000 Menschen verletzt und mehr als 150 als Geiseln nach Gaza entführt. In der Folge griff Israel Ziele im Gazastreifen an. Gemäss UNOCHA (Statista) sind im Gazastreifen (palästinensisches Autonomiegebiet) seit Oktober über 30 000 Menschen aufgrund des Kriegs ums Leben gekommen und über 70 000 verletzt worden. Diese Angaben beruhen laut Quelle auf offiziell bestätigten Todes- und Verletztenzahlen der israelischen Behörden.

Lara Gansser, Schaffhausen24