Du bist jetzt zwei Wochen zu Hause: Wie ist es dir ergangen?
Allein das zu Hause ankommen war anders als sonst in dem Wissen, dass ich nicht nur auf dem Sprung bin und gleich wieder verreisen muss. Das Leistungsdenken, mein Training, die ganzen Routinen müssen sich jetzt erst noch einstellen. Momentan fühlt es sich noch an wie Ferien, so richtig realisieren kann ich es noch nicht. Mein Körper ist gerade noch auf Leistung programmiert – die Saison geht ja sonst bis in den April. Ich muss mental und körperlich noch runterfahren. Aber ich finde mich langsam rein: Ich war vergangene Woche zum ersten Mal im Kinderturnen – mit 20 Müttern als einziger Mann (lacht). Das war ungewohnt, aber schön.
Und wie sieht es emotional aus? Bereust du deinen Entscheid?
Nein, ich stehe voll dahinter. Es war ein länger geplanter Schritt: Ich konnte den Rücktritt so gestalten, wie ich wollte, meine Botschaft platzieren, mich richtig verabschieden und nicht wie manch andere Kollegen einfach nicht mehr zum nächsten Cup erscheinen. Deswegen habe ich auch bewusst meinen Rücktritt auf den Weltcup gelegt. Dann konnte ich allen nochmal die Chance geben, sich auch von mir zu verabschieden. Einige ehemaligen Kollegen haben das nicht so gehandhabt – das fand ich immer traurig. So wollte ich das nicht haben. Auch mein Video zum Rücktritt war bewusst gewählt. Es war die intimste und emotionalste Entscheidung meines Lebens – ich wollte nach aussen tragen, was in mir vorgeht. Das war mir wichtig und fühlt sich auch heute noch stimmig an.
Was kam organisatorisch seit deiner Rückkehr auf dich zu?
Ich habe erstmal das ganze Equipment aussortiert und weggeräumt – in dem Wissen, das meiste brauche ich jetzt nicht mehr. Das war seltsam. Momentan habe ich sowieso noch sehr viele Termine. Darüber hinaus bin ich einfach erstmal bei meiner Familie angekommen. Meine Töchter sagen immer ‚Papa bleibt jetzt daheim!‘ – sie verstehen das und freuen sich. Wobei ich ausserhalb der Saison auch schon länger zu Hause und dann auch wirklich präsent war. Das war ein Vorteil, den andere Väter, die 5 Tage die Woche um 07:00 Uhr aus dem Haus gehen abends um 18:00 Uhr wieder nach Hause kommen von der Arbeit, nicht haben.
Und wie sieht es mit deiner Zukunftsplanung aus? Werden wir dich bald als Nachwuchstrainer irgendwo sehen?
Ich habe mehrere Ideen, was ich vielleicht machen will. Unter anderem ist Selbstständigkeit ein Thema – unternehmerisch selbst etwas auf die Beine zu stellen. Aber ich muss mich erstmal finden, die Frage beantworten: Wer bin ich, ohne Spitzensport? Ich lass alles auf mich zukommen. Ich bin in der Position, dass ich mir die Zeit nehmen kann und meine Familie mich unterstützt. Wenn Anfragen kommen, bin ich aber offen – auch im sportlichen Bereich. Aber ich kann mir auch vorstellen, irgendwo auszuhelfen, mit anzupacken – ein bisschen normalen Alltag erleben.
Haben sich noch besondere Menschen bei dir gemeldet, sich verabschiedet oder persönliche Worte an dich gerichtet?
Es gab mehrere überraschende Meldungen. Die Anzahl überhaupt hat mich überrascht. Viele Leute von früher – Trainer, Athletenkollegen, quasi die Ski-Familie - kamen auf mich zu, auch wenn man jahrelang keinen Kontakt mehr hatte. Ganz besonders gefreut hat mich aus internationaler Sicht der persönliche Abschied von Dominik Paris – für mich einer der besten Abfahrer. Logisch ist man eigentlich Konkurrenz, aber wenn einer aufhört, stehen wir alle zusammen. Schliesslich war man 12 Jahre miteinander unterwegs.
Du sagtest über deinen Rücktritt, dass dir „auch mental der letzte Schritt gefehlt hat, um vorne mitzuhalten“. Was genau meintest du damit?
Es sind verschiedene Faktoren, aber vor allem meine Risikobereitschaft, dass es mir das Wert ist, hat gefehlt. Ich habe vorletzten Sommer schon gesagt, entweder ich schaffe es in die Top 30 im Weltcup oder ich höre auf. Der Bandscheibenvorfall hat mich zurückgeworfen – auch emotional war ich danach im Loch. So wollte ich aber nicht aufhören und habe noch Mal Vollgas gegeben, habe mich den Sommer hindurch richtig gequält. Ich habe mir ein Ultimatum gestellt: Entweder ich packe es mit den Top 30 oder das war es dann wohl. Es hat nicht gereicht, das ist die Konsequenz. Deswegen habe ich in Wengen auch nochmal bewusst Zeit gebraucht, das Publikum genossen, alles aufgesogen. Zu Hause habe ich dann meiner Familie gesagt, dass ich mich aus dem Profisport zurückziehe.
War deine Familie auch ein Grund, weshalb du zurücktreten wolltest?
Meine Familie hat mir immer Rückhalt gegeben, wir haben alles dem Sport untergeordnet, alle mussten danach funktionieren. Das war nicht immer einfach. Aber sie haben es so gut gemacht! Erst wenn man mal Eltern wird, merkt man, dass man selbst nicht mehr der wichtigste Mensch im Leben ist, das habe ich gemerkt. Sicherlich spielt das auch rein: Ich freue mich über die gewonnene Zeit. Aber ich weiss, es wird auch eine Zeit kommen, in der ich mich danach sehne, wieder weg zu sein – und auf der Piste. Diese Umstellung wird dauern.
Bei deinem letzten Rennen in Kvietfjell… Was ging dir da durch den Kopf?
Ganz allgemein lieferst du am besten ab, wenn dein Kopf leer ist – du an nichts denkst, einfach den Moment lebst. Vor allem ohne Angst vor einem Sturz, oder was alles passieren könnte – denn diese Wahrscheinlichkeit schwingt immer mit. Aber den Tag war hin und hergerissen zwischen starken Emotionen und Konzentration – das hat es schwer gemacht. Schon vor dem Rennen: Das letzte Mal Physio, das letzte Rennen vorbereiten, den Staff vor der Abfahrt sehen. Alle waren oben, haben mich verabschiedet, auch Betreuer anderer Nationen. Das hat den Tag speziell gemacht – mich aber auch gefordert. Aber es war alles so wunderbar – ich bin dankbar, dass ich so gehen durfte - und auch die Abfahrt heil runtergekommen bin. Es war eine enorme Wertschätzung, die ich an dem Tag gespürt habe.
Was wird dir aus deiner Karriere bleiben?
Die Begegnungen mit wunderbaren Menschen, meine Ski-Familie und vor allem die Erinnerungen und Emotionen, die mit allen Rennen einhergingen. Wenn man den ganzen ‚Skizirkus‘ mal vergisst, habe ich mit 20 schon so viel von der Welt gesehen, was andere nie sehen. Da bin ich dankbar für. Und für die ganzen Learnings: Ich musste so viel selbstorganisieren, hab sehr viel dazugelernt, auch über mich selbst – natürlich auch im unternehmerischen Sinn. Das kann ich jetzt weiter einsetzen und ausbauen.
Was war dein größter sportlicher Moment?
Es gab viele schöne Erfolge wie die Juniorenweltmeisterschaft, die Europacup-Disziplinensiege, mein Weltcup-Debüt oder auch der 10. Platz in Wengen. Aber ganz besonders bleiben wird mir der Moment im Weltcupfinal, als ich mit der Nummer 1 starten durfte. Die 25 besten Fahrer der Welt, die ganze Schweiz schaut zu – und ich starte als #1. Das war etwas Besonderes, mein Bubentraum in Perfektion, die Startnummer hängt immer noch bei mir zu Hause.
Was denkst du war rückblickend auf deine Karriere deine grösste Schwäche?
Ich denke, ich habe zu viel überlegt, mich aufgeregt über Abläufe im Skisport, die auf Kosten der Fairness und der Sicherheit geändert wurden. Manchmal standen die Einnahmen im Fokus – und es wurde zu Gunsten davon entschieden, zum Beispiel bei Werbeunterbrechungen. Und wir Fahrer mussten dann in schlechterer Witterung antreten, weil wir noch die Pause abwarten mussten. Solche Entscheide haben mich gestört, das habe ich auch gesagt. Vielleicht war ich manchmal auch zu menschlich – der hard play hätte mir vielleicht mehr Erfolg gebracht.
Worauf freust du dich in der kommenden Zeit am meisten?
Privat freue ich mich tatsächlich auf ein entspanntes Weihnachten und Neujahr – mal so richtig entspannt mit der Familie feiern. Sonst war alles immer stressig und ich musste am 25. Dezember wieder los. Ich bin kein Weihnachtstyp, aber ich freue mich auf die Ruhe, die Besinnlichkeit und das Zusammensein – dass ich mit dem Kopf noch nicht im nächsten Rennen oder Training bin. Sportlich gesehen werde ich mit meinen Kollegen noch auf Fahrradtour gehen – das machen wir immer im Frühling für vier Tage, bis anhin als Trainingseinheit. Die letzten Male ging es nach Paris und nach Wien, dieses Jahr vielleicht nach Prag, mal schauen. Da fahre ich auch noch mit und freue mich sehr drauf, so habe ich ein kleines sportliches Ziel; immer noch! (lacht). Beim Saisonabschluss nach dem letzten Training im April werde ich auch dabei sein: Da werden wir ein letztes Mal mit dem gesamten Team anstossen.