Nationalrat Markus Ritter und Gemeindepräsident Kilian Looser beleuchteten die Möglichkeiten und Risiken, die das neue Raumplanungsgesetz für die Toggenburger Landwirtschaft mit sich bringt. Im Anschluss äusserten Kantonsratskandidaten von links bis rechts ihre politischen Ansichten zum Thema.
Grosses Interesse der Landwirte
Das Interesse an der Thematik des Bauens ausserhalb der Bauzone ist unter den Toggenburger Landwirten gross, wie der volle Saal im Thurpark in Wattwil zeigte. Kantonsrat Hansruedi Thoma stimmte die Gäste auf einen spannenden Abend ein, darunter auch Nationalrat und Bauernverbandspräsident Markus Ritter. Ritter führte fundiert und rhetorisch gekonnt in das Thema ein und betonte die Wichtigkeit der neuen Raumplanungsvorschriften: "Wir stehen vor der Chance, das Gleichgewicht zwischenErhaltung und Entwicklung neu zu definieren. Es ist jedoch essentiell, dass wir die neuen Rechtsgrundlagen sorgfältig und zielführend umsetzen." Die Revision des Raumplanungsgesetzes war längst überfällig und entstand auf Basis der Botschaft des Bundesrates und unter Berücksichtigung der zurückgezogenen Landschaftsinitiative. Dem Ständerat kam bei der Neugestaltung der Vorlage eine zentrale Rolle zu, um eine zukunftsorientierte und mehrheitsfähige Vorlage zu erarbeiten. Für die Landwirtschaft ergeben sich daraus neue Möglichkeiten der baulichen Entwicklung.
Stabilisierungsziel, Abbruchprämie, Energieanlagen
Im Zentrum der Revision steht das sogenannte Stabilisierungsziel sowie ein neuer "Gebietsansatz". Das Parlament bekannte sich zum Ziel, die Anzahl der Gebäude und die versiegelte Fläche ausserhalb der Bauzonen zu stabilisieren. Das bedeutet: Alle nicht geschützten Gebäude im Nichtbaugebiet unterliegen dem Stabilisierungsziel. Bei den eigentlichen Flächen bzw. deren Versiegelung ist der Katalog mit Ausnahmen jedoch umfangreich. Um dieses Stabilisierungsziel zu erreichen, ist der Abbruch von bestehenden Gebäuden unausweichlich. Der Kanton ist nun verpflichtet, Abbruchprämien zu zahlen. Das heisst, wenn jemand einen alten Stall oder ein leerstehendes Haus abreisst, wird er künftig entschädigt. Besonders interessant ist auch, dass der Bau von Energieanlagen ausserhalb der Bauzone erleichtert wird, was sowohl die Energiewende fördert als auch den Bauern neue Chancen bietet, beispielsweise bei der Produktion von erneuerbarer Energien aus Biomasse.
Kanton muss Spielraum nutzen
Etwas kritischer sieht das neue Gesetz Kilian Looser, Gemeindepräsident von Nesslau und Präsident der Region Toggenburg. Er erwartet mehr Bürokratie und viele Aufträge für Planungsbüros. „Die vielen unbestimmten Rechtsbegriffe werden zu zahlreichen Gerichtsfällen führen. Diese Unsicherheiten, welche das neue Raumplanungsgesetz schafft, helfen niemandem“, merkte Looser an. Zudem wies er darauf hin, dass im Toggenburg die baulichen Einschränkungen besonders hoch sind durch viele überlagernde Schutzflächen. Looser und Ritter verwiesen darauf, dass dem Kanton neu eine zentrale Rolle zukommt. Das Stabilisierungsziel soll anhand eines Gesamtkonzeptes über die kantonalen Richtpläne erreicht werden. Hierfür müssen die Kantone ihre Richtpläne innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung anpassen. Nach Ablauf dieser Frist drohen Sanktionen: Jedes weitere Gebäude ausserhalb der Bauzonen muss dann kompensiert werden.
Kantonsratskandidaten begrüssen Vorrang der Landwirtschaft
Beim abschliessenden Podium waren sich die Kandidaten einig, dass das Gesetz Chancen für die Toggenburger Landwirtschaft bietet, insbesondere auch durch den im Gesetz festgeschriebenen Vorrang der Landwirtschaft ausserhalb der Bauzone. Alle Podiumsteilnehmenden machten negative Erfahrungen mit den bisherigen Rechtsgrundlagen. Der SVP-Kandidat Bruno Schweizer berichtete beispielsweise, dass ein Projekt für einen Wärmeverbund im Neckertal scheiterte, nicht wegen des Kantons, sondern infolge des Widerstands von Umweltverbänden. Deshalb begrüsst er die Möglichkeiten zur Realisierung von Energieanlagen ausserhalb der Bauzone besonders.
Entfernt von Wertschöpfungskette
In eine ähnliche Richtung gehen die Ansichten von FDP-Mann Martin Kurmann. Als Käser konnte er nur mit Müh und Not seine Käserei in der Landwirtschaftszone erweitern. Er sollte sogar seinen Betrieb ins Industriegebiet weit weg von seinen Bauern verlegen. „Es ist einfach nicht sinnvoll, wenn solche Betriebe aus der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette wegziehen müssen und die Bauern dann lange Anfahrtswege haben. Für die Umsetzung des Bundesrechts müssen wir dem Kanton genau auf die Finger schauen!“, sagte Kurmann.
Herausforderung
Die neue Rolle des Kantons ist auch für den SP-Kantonsrat und Neckertaler Gemeindepräsident Christian Gertsch eine Herausforderung. Der Kanton ist neu anstelle der Gemeinden als Baupolizist zuständig. „Das ist meiner Meinung nach nicht zielführend“, erklärt SP-Kantonsrat und Gemeindepräsident Christian Gertsch. „Zum einen braucht es die räumliche Nähe und manchmal auch pragmatische Lösungen. Ich habe Bedenken, dass es hier komplizierter und aufwändiger wird für alle Beteiligten.“
Aufstockung der Betriebe
Einfacher werden dürfte dafür die innere Aufstockung von Betrieben. Darüber erfreut ist der Mitte Kantonsrat Hansruedi Thoma. „Als Agrotreuhänder habe ich in viele verschiedene Projekte Einblick. Gerade die Erweiterung von Betrieben oder auch der Bau von Stöckli bereiten oft Sorge. Mit der geschickten Umsetzung im neuen Raumplanungsgesetz konnte hier eine Verbesserung erzielt werden.“
Zusammengefasst bleibt das Bauen ausserhalb der Bauzone auch mit den neuen gesetzlichen Grundlagen eine grosse Herausforderung. Doch bieten sich besonders für das Streusiedlungsgebiet Toggenburg viele Chancen. „Damit diese Chancen genutzt werden können, braucht es viele Anstrengungen, besonders von den Toggenburger Kantonsräten“, schloss Hansruedi Thoma den Abend mit einem Appell ab.