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Wattwil
29.10.2023
01.11.2023 21:22 Uhr

Thursanierung Wattwil ist das Gegenteil von ökologischer Aufwertung

Fabian Dietrich, Baumpflege­spezialist, referierte über den unbezahlbaren Wert der Thurallee.
Fabian Dietrich, Baumpflege­spezialist, referierte über den unbezahlbaren Wert der Thurallee. Bild: IG vernünftiger Hochwasserschutz an der Thur
Im Kampf gegen das umstrittene kantonale Projekt der Thursanierung in Wattwil gesellt sich mit der Fondation Franz Weber eine sehr promi­nente Mitstreiterin an die Seite der IG «vernünftiger Hochwasserschutz an der Thur». Am 25. Oktober informierte ein von der Fondation Franz Weber beigezogener Baumpflege­spezialist über den fast unbezahlbaren Wert der einzigartigen Wattwiler Thurallee. Mit spür­barem Engagement und fundiertem Fachwissen präsentierte er den rund 50 Anwesenden Erstaun­liches aus der Baumwelt.

Hier eine Zusammenfassung des Vortrags von Fabian Dietrich, Baumpflege­spezialist mit eidgenössischem Fachausweis:

«Eine so prächtige Allee habe ich in der Schweiz noch nie angetroffen. Sie ist fast fünf Kilometer lang und besteht aus rund 450 Bäumen, die auf beiden Seiten der Thur in einer Reihe stehen. Eine Vielzahl der Bäume ist zwischen 80 und 100 Jahre alt. Man findet einheimische Baumarten wie Spitz-, Berg- und Feldahorne, Winter- und Sommerlinden, Stieleichen, Eschen, vereinzelt Silberweiden, Erlen, aber auch Rotbuchen, Rosskastanien und andere.

Konsequent ersetzt

Wenn Bäume gefällt werden mussten, wurden sie konsequent ersetzt mit einheimischen Baumarten wie z. B. Linden und  teilweise mit Klimabäumen wie Zürgelbäumen. Die Allee ist zu Recht geschützt, leider jedoch nur mit einer Schutzverordnung auf Gemeindeebene. Die Bäume haben grundsätzlich noch eine sehr lange Lebenserwartung, kann doch z.B. eine Linde bis zu 1‘000 Jahre alt werden.

Jeder Baum leistet Bemerkenswertes

Die Thurallee prägt das Wattwiler Orts- und Landschaftsbild und ist ein wichtiges Naherholungs­gebiet und Die Bäume spenden Schatten und kühlen die Umgebung in Hitzeperioden um bis zu 10 Grad ab. Ein ausgewachsener ca. 80jähriger Laubbaum versorgt etwa 11 Menschen mit genügend Sauerstoff und verdunstet 200 bis 300 Liter Wasser pro Tag. Auch bindet er pro Jahr ca. 6 Tonnen Kohlendioxid und ca. 100 kg Feinstaub. Jeder einzelne Laubbaum sorgt somit für saubere Luft und ein angenehmes Klima. Um die Umweltleistung eines einzigen 80 bis100 Jahre alten Baumes zu kompensieren, sind 100 Jungbäume oder noch mehr nötig.

Bäume stellen die Artenvielfalt sicher

Ausgewachsene Bäume bieten Lebensraum für unzählige Lebewesen wie Vögel, Siebenschläfer, Fledermäuse, Käferarten etc., die teilweise sogar vom Aussterben bedroht sind. Diesen Lebewesen können Jungbäume noch keinen Lebensraum anbieten, weil erst ältere Bäume Höhlungen und Mullzonen aufweisen. Je älter ein Baum ist, desto wertvoller ist er für die Ökologie und die Artenvielfalt. Die Eiche beispielsweise bezeichnet man als den „Baum der 1‘000 Lebewesen."

Mit ihrem Wurzelwerk stabilisieren die Bäume entlang der Thur die Uferzonen. Mit einem Kahlschlag dieser Alleebäume würde ein unbezahlbares Naherholungsgebiet zerstört , denn es würde bis zu 100 Jahre dauern, bis wieder eine gleichwertige Allee entstanden wäre. Angesichts der Klimaveränderungen ist es wichtig, jeden Baum zu erhalten, wie die immer heisseren Sommer zeigen.

Erhalt der Alleebäume hilft Kosten sparen

Ich bin überzeugt, dass es für die Thursanierung Lösungen gibt, ohne die Bäume zu fällen. Gemäss Aussage des anwesenden Projektingenieurs soll das Flussbett der Thur um ca. 10 Meter verbreitert werden, also auf beiden Seiten je um ca. 5 Meter. Im Bereich von Bäumen mit grossem Wurzelwerk kann eine Uferböschung durchaus auch etwas steiler gebaut werden. Dazu müsste ein Baumpflegespezialist bei allen den Wurzelraum der Bäume sondieren und ermitteln, wie nahe an die Bäume gegraben werden kann. Dies bedeutet zwar mehr Aufwand und höhere Kosten, die aber deutlich geringer sein dürften als 80 Bäume auszugraben, zwischenzulagern und dann wieder zu pflanzen oder bis zu 375 Bäume zu fällen, zu entstocken und mit Jungbäumen zu ersetzen, für die viele Jahre lang auch noch eine intensive Anwachspflege gemacht werden müsste. Zudem muss wegen der Klimaerwärmung befürchtet werden, dass trotz intensiver Pflege längst nicht alle Jungbäume dem Unweltstress gewachsen sein werden und sie schon nach wenigen Jahren eingehen. Ein Kahlschlag der Allee wäre somit sowohl finanziell als auch ökologisch ein Unsinn.

Thursanierung mit Erhalt der Bäume neu planen

Eine so prächtige Allee lässt sich mit keinem Geld der Welt aufwiegen. Nach meiner Meinung sollte die Thursanierung deshalb von unvoreingenommenen Fachleuten – zu denen sicher auch ein Baumpflegespezialist gehören muss – neu gedacht werden. Und auf keinen Fall darf ein Projekt, dem so viele Altbäume geopfert werden, gegen aussen weiterhin als „ausgewogen“ und „ökologische Aufwertung“ bezeichnet werden. Mit ökologischer Aufwertung hat das nichts zu tun - im Gegenteil: die Klima­erwärmung würde mit dem Fällen der Bäume noch gefördert!»

Mit Begeisterung referierte der Spezialist über die Bedeutung der Bäume an der Thur. Bild: IG vernünftiger Hochwasserschutz an der Thur
Wendelin Brand