Im Wasserbauprojekt „Thursanierung Wattwil“ führen Kanton und Gemeinde die öffentliche Mitwirkung zum Gesamtprojekt durch, obwohl die Alarmzeichen vor allem bei den Kosten auf „rot“ sind und noch wesentliche Informationen fehlen bzw. wichtige Punkte nicht geklärt sind.
Die Interessengemeinschaft „Vernünftiger Hochwasserschutz an der Thur“ (IG VH Thur) hat folgende Aspekte bereits mehrfach kritisiert:
- Das Projekt widerspricht den Grundsätzen eines wirksamen Hochwasserschutzes.
- Das Projekt ist überdimensioniert.
- Das Projekt hat immense Kostenfolgen.
- Das Projekt zerstört für lange Zeit die über viele Jahrzehnte gewachsene Baumallee
entlang der Thur. - Das Projekt vernichtet zu viel Kulturland.
- Das Projekt fördert die Wasser- und Klimaerwärmung.
- Im Projekt erfolgt eine willkürliche Festlegung des Gewässerraums.
- Das Projekt macht die Thurwege durch Verbreiterung unfallträchtiger und gefährlicher.
- Das Projekt missachtet die Eigentumsrechte der Anstösser.
Neu kommen folgende Forderungen bzw. Kritikpunkte hinzu:
- Fakten offen legen
Die prognostizierten Kosten haben sich mehr als verdoppelt und liegen nun im dreistelligen Millionenbereich. Bis Baubeginn (frühestens 2026) werden die effektiven Kosten nochmals deutlich höher liegen, denn die Kostenschätzung basiert auf den Preisen von 2018. Obwohl das Projektdossier rund 2‘000 Seiten umfasst, fehlen nach wie vor wesentliche Informationen, da es noch auf dem Stand von Ende 2019 ist. Die seither erfolgten Eingaben der IGVH wurden nicht berücksichtigt. - Grundwasserschutz wird zu wenig beachtet
Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat bereits vor 2 Jahren bemängelt, dass der Projektstand nicht genügt, um das Grundwasser umfassend vor den nachteiligen Einflüssen der Thursanierung zu schützen. Dem ist immer noch so; d. h. die überdimensionierte Verbreiterung des Thurbetts hat Einfluss auf das Grundwasser und damit auf die Versorgungssicherheit der Wattwiler Bevölkerung mit qualitativ hochstehendem Trinkwasser. - Interessenabwägung Kulturlandverlust vs Revitalisierung fehlt
Die IGHV hat seit jeher den hohen Kulturlandverlust (60‘000 m2 bzw. 10 Fussballfelder) bemängelt und Projektalternativen gefordert. Dennoch wurde die Mitwirkung nun gestartet, obwohl das von der Gemeinde in Auftrag gegebene Fachgutachten betreffend die Interessenabwägung zwischen Kulturland und Revitalisierung noch nicht vorliegt. - Inakzeptable Ausdehnung und Ausgestaltung des Freihaltebereichs
Für die Grundstücke entlang der Thur wird ein sog. Freihaltebereich verfügt, welcher bis an die bestehenden Gebäude reicht und sehr restriktive Gestaltungsvorschriften enthält (Verbot von Sichtschutzwänden, Sitzplätzen mit Gartenplatten, etc.). Dieser unverhältnismässige Eingriff ins Privateigentum der Thuranstösser wird viele Einsprachen nach sich ziehen. - Immens hohe Kosten und miserables Nutzen/Kosten-Verhältnis
Die Kosten haben sich von ehemals knapp 50 Mio. auf neu 110 Mio. CHF mehr als verdoppelt. Das Nutzen/Kostenverhältnis liegt bei 50-60 %; d.h. die aus Steuergeldern zu finanzierende Investition von 110 Mio. erzielt einen Nutzen von knapp 60 Mio. CHF. Auch diesen Missstand bemängelte das BAFU bereits vor 2 Jahren und wies zudem darauf hin, dass nur ein Teil der Gesamtkosten subventionsberechtigt sei (d. h. ein substanzieller Betrag wird an den Wattwiler Steuerzahlern hängenbleiben). Obwohl die Verantwortlichen diese deutlichen Alarmsignale seit 2 Jahren kennen, wird das Planungsverfahren unbeirrt vorangetrieben und das Projekt weiterhin als „ausgewogen“ propagiert. - Keine Angaben zu den Folgekosten
Bauliche Massnahmen in dreistelliger Millionenhöhe haben zwangsläufig auch entsprechend hohe Folgekosten. Diese sind im umfangreichen Projektdossier nirgends quantifiziert; ebenso fehlen Angaben zu einem allfälligen Kostenverteiler. Die IG fordert volle Transparenz gegenüber den Steuerzahlern. - Ungenügende Information der Öffentlichkeit
Obwohl angekündigt, gab es zu Beginn der Mitwirkung keine öffentliche Info-Veranstaltung seitens Kanton und Gemeinde. Dies wäre jedoch umso notwendiger gewesen, weil das Projekt um ein Vielfaches grösser ist als die 1. Etappe. So sind z.B. mehr als 100 Privatgrundstücke direkt betroffen und der immense Umfang des Projektdossiers (130 Dokumente; 2‘000 Seiten) wird viele Interessierte vom Selbststudium abschrecken und vom Mitwirkungsprozess abhalten. Ebenso bemängelt die IGVH, dass die enormen Kosten und das desolate Nutzen/Kosten-Verhältnis erst mit zweijähriger Verzögerung publik gemacht wurden (statt damals sofort einen Notstopp bei der Planung zu machen).
Fazit: Das Projekt wird so keine Mehrheit finden
Bereits heute ist die Thur im Kanton St. Gallen auf fast 95 Prozent ihrer Länge „Natur pur“; der knapp 5 km lange Thurabschnitt Wattwil bildet die Ausnahme. Im Zuge der Thursanierung soll nun auch noch die Flusslandschaft der restlichen 5 Streckenprozente ins 19. Jahrhundert zurückverwandelt werden - und dies ausgerechnet im einzigen grösseren Siedlungsgebiet! Diese Relationen zeigen klar, dass der Preis für das Projekt insgesamt viel zu hoch ist (z. B. Steuergelder in dreistelliger Millionenhöhe, 60‘000 m2 bestes Kulturland, Fällen von mehreren Hundert prächtigen Alleebäumen). Es entsteht der Eindruck, dass nie überprüft wurde, ob das Projekt nicht nur in sich selbst, sondern auch im Gesamtkontext verhältnismässig sei.
Der ursprüngliche Fahrplan hat sich bereits um mehrere Jahre nach hinten verschoben und gegen die 1. Etappe der Thursanierung sind noch zahlreiche Einsprachen hängig. Dennoch und trotz deutlicher Alarmzeichen wird nun mit grosser Eile und mittels der Pläne Stand 2019 das Planungsverfahren für die „grosse“ Thursanierung vorangetrieben. Es scheint geradezu, als ob die Verantwortlichen ihr Projekt „à tout prix“ retten wollen. Dabei zeigen sowohl die neuere politische Entwicklung (z. B. Abstimmung Wil-West) als auch die klimatische Entwicklung
(z. B. längere und häufigere Dürreperioden) immer deutlicher auf, dass das Projekt Thursanierung in dieser stark überdimensionierten Ausprägung nicht mehrheitsfähig sein wird.
Die IGVH hält fest, dass angesichts der Kosten im dreistelligen Millionenbereich und dem miserablen Nutzen-Kostenverhältnis der Zeitpunkt nun definitiv gekommen ist, an dem die Verantwortlichen das gesamte Projekt von Grund auf hinterfragen müssen.